Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
mit seinem
    harten Schädel, seinem kleinen athletischen Körper – nur
    die Beine hatte er als Junge recht schwach, aber das mag 
    sich inzwischen schon ausgeglichen haben – überall
    durchkommen, wo es ihm beliebt. Öers hatte ich Lust,
    ihn zurückzurufen, ihn zu fragen, wie es eigentlich um
    ihn steht, warum er sich vom Vater so abschließt und
    was er im Grunde beabsichtigt, aber nun ist er so weit 
    und so viel Zeit ist schon vergangen, nun mag es so
    bleiben wie es ist. Ich höre, daß er als der einzige meiner
    [  ]
    Söhne einen Vollbart trägt; schön ist das bei einem so
    kleinen Mann natürlich nicht.
    Mein neunter Sohn ist sehr elegant und hat den für
    Frauen bestimmten süßen Blick. So süß, daß er bei Gele-
     genheit sogar mich verführen kann, der ich doch weiß,
    daß förmlich ein nasser Schwamm genügt, um allen die-
    sen überirdischen Glanz wegzuwischen. Das Besondere
    an diesem Jungen aber ist, daß er gar nicht auf Verfüh-
    rung ausgeht; ihm würde es genügen, sein Leben lang
     auf dem Kanapee zu liegen und seinen Blick an die
    Zimmerdecke zu verschwenden oder noch viel lieber
    ihn unter den Augenlidern ruhen zu lassen. Ist er in
    dieser von ihm bevorzugten Lage, dann spricht er gern
    und nicht übel; gedrängt und anschaulich; aber doch nur
     in engen Grenzen; geht er über sie hinaus, was sich bei
    ihrer Enge nicht vermeiden läßt, wird sein Reden ganz
    leer. Man würde ihm abwinken, wenn man Hoffnung
    hätte, daß dieser mit Schlaf gefüllte Blick es bemerken
    könnte.
     Mein zehnter Sohn gilt als unaufrichtiger Charakter.
    Ich will diesen Fehler nicht ganz in Abrede stellen, nicht
    ganz bestätigen. Sicher ist, daß, wer ihn in der weit über
    sein Alter hinausgehenden Feierlichkeit herankommen
    sieht, im immer festgeschlossenen Gehrock, im alten,
     aber übersorgfältig geputzten schwarzen Hut, mit dem
    unbewegten Gesicht, dem etwas vorragenden Kinn, den
    schwer über die Augen sich wölbenden Lidern, den
    [  ]
    manchmal an den Mund geführten zwei Fingern – wer
    ihn so sieht, denkt: das ist ein grenzenloser Heuchler.
    Aber, nun höre man ihn reden! Verständig; mit Bedacht;
    kurz angebunden; mit boshaer Lebendigkeit Fragen
    durchkreuzend; in erstaunlicher, selbstverständlicher und 
    froher Übereinstimmung mit dem Weltganzen; eine
    Übereinstimmung, die notwendigerweise den Hals stra
    und den Kopf erheben läßt. Viele, die sich sehr klug
    dünken und die sich, aus diesem Grunde wie sie meinten,
    von seinem Äußern abgestoßen fühlten, hat er durch 
    sein Wort stark angezogen. Nun gibt es aber wieder
    Leute, die sein Äußeres gleichgültig läßt, denen aber sein
    Wort heuchlerisch erscheint. Ich, als Vater, will hier
    nicht entscheiden, doch muß ich eingestehen, daß die
    letzteren Beurteiler jedenfalls beachtenswerter sind als 
    die ersteren.
    Mein eler Sohn ist zart, wohl der schwächste unter
    meinen Söhnen; aber täuschend in seiner Schwäche; er
    kann nämlich zu Zeiten kräig und bestimmt sein, doch
    ist allerdings selbst dann die Schwäche irgendwie grund- 
    legend. Es ist aber keine beschämende Schwäche, son-
    dern etwas, das nur auf diesem unsern Erdboden als
    Schwäche erscheint. Ist nicht zum Beispiel auch Flugbe-
    reitscha Schwäche, da sie doch Schwanken und Unbe-
    stimmtheit und Flattern ist? Etwas Derartiges zeigt mein 
    Sohn. Den Vater freuen natürlich solche Eigenschaen
    nicht; sie gehen ja offenbar auf Zerstörung der Familie
    [  ]
    aus. Manchmal blickt er mich an, als wollte er mir sagen:
    „Ich werde dich mitnehmen, Vater.“ Dann denke ich:
    „Du wärst der Letzte, dem ich mich vertraue.“ Und sein
    Blick scheint wieder zu sagen: „Mag ich also wenigstens
     der Letzte sein.“
    Das sind die elf Söhne.
    Ein Brudermord
    Es ist erwiesen, daß der Mord auf folgende Weise er-
    folgte:
     Schmar, der Mörder, stellte sich gegen neun Uhr
    abends in der mondklaren Nacht an jener Straßenecke
    auf, wo Wese, das Opfer, aus der Gasse, in welcher sein
    Bureau lag, in jene Gasse einbiegen mußte, in der er
    wohnte.
     Kalte, jeden durchschauernde Nachtlu. Aber Schmar
    hatte nur ein dünnes blaues Kleid angezogen; das Röck-
    chen war überdies aufgeknöp. Er fühlte keine Kälte;
    auch war er immerfort in Bewegung. Seine Mordwaffe,
    halb Bajonett, halb Küchenmesser, hielt er ganz bloßge-
     legt immer fest im Griff.

Weitere Kostenlose Bücher