Drucke zu Lebzeiten
mit seinem
harten Schädel, seinem kleinen athletischen Körper – nur
die Beine hatte er als Junge recht schwach, aber das mag
sich inzwischen schon ausgeglichen haben – überall
durchkommen, wo es ihm beliebt. Öers hatte ich Lust,
ihn zurückzurufen, ihn zu fragen, wie es eigentlich um
ihn steht, warum er sich vom Vater so abschließt und
was er im Grunde beabsichtigt, aber nun ist er so weit
und so viel Zeit ist schon vergangen, nun mag es so
bleiben wie es ist. Ich höre, daß er als der einzige meiner
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Söhne einen Vollbart trägt; schön ist das bei einem so
kleinen Mann natürlich nicht.
Mein neunter Sohn ist sehr elegant und hat den für
Frauen bestimmten süßen Blick. So süß, daß er bei Gele-
genheit sogar mich verführen kann, der ich doch weiß,
daß förmlich ein nasser Schwamm genügt, um allen die-
sen überirdischen Glanz wegzuwischen. Das Besondere
an diesem Jungen aber ist, daß er gar nicht auf Verfüh-
rung ausgeht; ihm würde es genügen, sein Leben lang
auf dem Kanapee zu liegen und seinen Blick an die
Zimmerdecke zu verschwenden oder noch viel lieber
ihn unter den Augenlidern ruhen zu lassen. Ist er in
dieser von ihm bevorzugten Lage, dann spricht er gern
und nicht übel; gedrängt und anschaulich; aber doch nur
in engen Grenzen; geht er über sie hinaus, was sich bei
ihrer Enge nicht vermeiden läßt, wird sein Reden ganz
leer. Man würde ihm abwinken, wenn man Hoffnung
hätte, daß dieser mit Schlaf gefüllte Blick es bemerken
könnte.
Mein zehnter Sohn gilt als unaufrichtiger Charakter.
Ich will diesen Fehler nicht ganz in Abrede stellen, nicht
ganz bestätigen. Sicher ist, daß, wer ihn in der weit über
sein Alter hinausgehenden Feierlichkeit herankommen
sieht, im immer festgeschlossenen Gehrock, im alten,
aber übersorgfältig geputzten schwarzen Hut, mit dem
unbewegten Gesicht, dem etwas vorragenden Kinn, den
schwer über die Augen sich wölbenden Lidern, den
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manchmal an den Mund geführten zwei Fingern – wer
ihn so sieht, denkt: das ist ein grenzenloser Heuchler.
Aber, nun höre man ihn reden! Verständig; mit Bedacht;
kurz angebunden; mit boshaer Lebendigkeit Fragen
durchkreuzend; in erstaunlicher, selbstverständlicher und
froher Übereinstimmung mit dem Weltganzen; eine
Übereinstimmung, die notwendigerweise den Hals stra
und den Kopf erheben läßt. Viele, die sich sehr klug
dünken und die sich, aus diesem Grunde wie sie meinten,
von seinem Äußern abgestoßen fühlten, hat er durch
sein Wort stark angezogen. Nun gibt es aber wieder
Leute, die sein Äußeres gleichgültig läßt, denen aber sein
Wort heuchlerisch erscheint. Ich, als Vater, will hier
nicht entscheiden, doch muß ich eingestehen, daß die
letzteren Beurteiler jedenfalls beachtenswerter sind als
die ersteren.
Mein eler Sohn ist zart, wohl der schwächste unter
meinen Söhnen; aber täuschend in seiner Schwäche; er
kann nämlich zu Zeiten kräig und bestimmt sein, doch
ist allerdings selbst dann die Schwäche irgendwie grund-
legend. Es ist aber keine beschämende Schwäche, son-
dern etwas, das nur auf diesem unsern Erdboden als
Schwäche erscheint. Ist nicht zum Beispiel auch Flugbe-
reitscha Schwäche, da sie doch Schwanken und Unbe-
stimmtheit und Flattern ist? Etwas Derartiges zeigt mein
Sohn. Den Vater freuen natürlich solche Eigenschaen
nicht; sie gehen ja offenbar auf Zerstörung der Familie
[ ]
aus. Manchmal blickt er mich an, als wollte er mir sagen:
„Ich werde dich mitnehmen, Vater.“ Dann denke ich:
„Du wärst der Letzte, dem ich mich vertraue.“ Und sein
Blick scheint wieder zu sagen: „Mag ich also wenigstens
der Letzte sein.“
Das sind die elf Söhne.
Ein Brudermord
Es ist erwiesen, daß der Mord auf folgende Weise er-
folgte:
Schmar, der Mörder, stellte sich gegen neun Uhr
abends in der mondklaren Nacht an jener Straßenecke
auf, wo Wese, das Opfer, aus der Gasse, in welcher sein
Bureau lag, in jene Gasse einbiegen mußte, in der er
wohnte.
Kalte, jeden durchschauernde Nachtlu. Aber Schmar
hatte nur ein dünnes blaues Kleid angezogen; das Röck-
chen war überdies aufgeknöp. Er fühlte keine Kälte;
auch war er immerfort in Bewegung. Seine Mordwaffe,
halb Bajonett, halb Küchenmesser, hielt er ganz bloßge-
legt immer fest im Griff.
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