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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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kannst, ohne es danach durch eine zynische Bemerkung zu revidieren.«
    » Ich habe einfach kein großes Interesse an Menschen, Ida. Ich mag Menschen nicht, und ich bin nicht darauf angewiesen, dass sie mich mögen. Ich halte die meisten hier für dümmliche Weicheier, die einfach mal ihr Leben auf die Reihe kriegen sollten.«
    » So wie du«, bemerke ich und sehe zum ersten Mal einen Anflug des so vertrauten Zorns in seinem Gesicht, seitdem wir hier draußen sitzen.
    » Du weißt doch gar nichts.« Er schließt sich wie eine Tür, die leise zufällt. Mein Angriff hat seine Schutzschilde wieder aktiviert, eine Reaktion, die mir die Scham über mein unglückliches Benehmen in den Mund fahren lässt, der sogleich versucht zu schlichten, zu überzeugen, zu entschuldigen, bis Simon wieder spricht.
    » Ich bin nicht wie die anderen hier!«, empört er sich. » Die stellen sich alle wegen Dingen an, die mir völlig fremd sind. Studium, Beziehungen, dieser ganze unwichtige Kram. Und dann jammern sie dauernd wegen der Therapie. Und irgendwer ist immer doof. Auf jeden Fall aber die Therapeuten. Als ob sie alle hierher gezwungen worden wären.«
    » Zwang ist ein weit dehnbarer Begriff, Simon.«
    » Ich weiß schon, der äußere Zwang, der zum inneren wird.«
    » Wer bist du, dass du darüber entscheiden kannst, wer hierhergehört und wer nicht? Wer bist du, dass du sagen kannst, dass du das hier mehr brauchst als die anderen? Erinnerst du dich an den Tag, als wir im Café waren?«
    Er nickt.
    » Gut. Ich war schon ein paar Mal da. Danach. Und jedes Mal saß ich zwischen diesen ganzen Menschen und bin nicht weiter aufgefallen. Ich habe einen Facebook-Account. Ich gehe in Läden einkaufen, die diese hippen, kalten Anzüge haben, und kaufe mir Kleider, die mich so aussehen lassen, als hätte ich niemals vor einem Therapeutenzimmer auf meinen Termin gewartet. Warum? Weil die Menschen denken, dass die Irren immer nur die anderen sind. Dass man sie erkennen kann. Dass sie anders sind. Dass sie keinen Coffee to go mitnehmen und dass sie nicht im Vorlesungssaal neben ihnen sitzen. Dass sie nicht das Mädchen auf der Tanzfläche sind, das so strahlt, oder der Typ in der Bar, der sie schon den ganzen Abend so herrlich schüchtern anschaut. Sie glauben an diese Menschen, die diese schrecklichen Bücher über ihre Depressionen und Wehwechen schreiben. Mein Weg, mein Schicksal, meine Depression. Oder so ein Quatsch. Sie glauben an den Irrsinn, der erkennbar ist. Bloß weil ein paar Sportler sich ins Fernsehen stellen und über ihre Diagnosen quatschen, heißt das noch lange nicht, dass die Leute weniger Angst vor dem Verrückten haben. Vielleicht haben sie mit den Jahren ja ein bisschen weniger Angst vor den anderen. Aber hoffentlich passiert es nie in ihrer Familie, denken sie, hoffentlich nicht, was sollen denn dann die Nachb…«
    » Bla bla bla«, sagt Simon. » Darum geht es doch hier gar nicht. Es geht darum, dass es Menschen gibt, die sich ihren Problemen stellen, und welche, die nur so tun als ob.«
    » Und die nehmen dir dann etwas weg?«
    » Nein, aber die arbeiten beständig daran, dass die wirklichen Leiden, die, die schlimm sind, nicht mehr so ernst genommen werden, weil sie als Modekrankheiten scheinen. Weil jedes Teeniemädchen sich schon mal den Namen ihres ersten Freundes in die Unterarme geritzt hat.«
    Wir lachen jetzt beide und beschließen, dass es an der Zeit ist, wieder in unsere Zimmer zu gehen und zu hoffen, dass der Schlaf die Kälte wegträgt, die wir mit unseren zitternden Händen festhalten.
    Können wir uns in Acht nehmen, uns zusammennehmen, uns ducken, unsere Taschen und Rucksäcke packen, so schnell verschwinden, wie es uns nur eben möglich ist, und uns in den Höhlen unserer Vorstellungen verstecken? Können wir es wagen zu sagen, du, ich bin verrückt, bin danebengetreten, habe mich verlaufen in den Wänden meiner Maximen, zwischen den Häusern meiner Ideale? Können wir uns trauen zu sagen, du, ich kann nicht mehr, kann nicht mehr weiterlaufen, kann nicht mehr mit dir weitergehen, ich lasse deine Hand jetzt los? Können wir das Essen wegschieben, das Besteck wegräumen und einfach aufgeben, einfach weggehen, bis wir die Wand erreichen, an der wir schon die ganze Zeit mit dem Rücken standen? Können wir es allen erzählen? Können wir zwischen den anderen bleiben, obwohl wir noch hinken, obwohl wir noch verwundet sind, obwohl wir noch bluten, diese Art von Blut, das unsichtbar, geruchlos und nicht zu

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