Drunter und Drüber
Schuss.
Worin er anscheinend einer Meinung mit dem Bullen gewesen war. »Ziemlich nette Bleibe für jemanden, der über keine sichtbaren Einkünfte verfügt«, hatte er erklärt.
»Hol dich doch der Teufel«, hatte Butch ihn angefahren. »Meine Frau hat einen Full-Time-Job und ich hatte ebenfalls eine ziemlich gute Arbeit, bis die Firma vorletzten Monat Pleite gegangen ist. Und während ich mir eine neue Stelle suche, kriege ich Arbeitslosengeld.«
»Hast du das auch um vier Uhr heute Nachmittag gemacht?«, hatte der Ältere der beiden ihn gefragt. »Stempelgeld kassiert?«
Butch hatte ihn böse angesehen. »Mit der Frage willst du mich doch nur in die Pfanne hauen, oder etwa nicht?«
»Wo warst du heute Nachmittag um vier, Dickson?«
»Hier in meiner Wohnung«, hatte Butch gefaucht und mit dem Daumen auf J.D. gezeigt. »Und zwar mit ihm zusammen.«
J.D. hatte nicht mal geblinzelt, doch innerlich war er vollkommen erstarrt. Was zum Teufel hatte diese Antwort zu bedeuten? Er war erst um fünf gekommen. Himmel, in welchen Schlamassel hatte Butch sich reingeritten?
Dann aber hatte er sich gefragt, seit wann er aufgrund der Behauptungen irgendwelcher Bullen derart voreilige Schlüsse zog. Vielleicht war Butch nicht gerade der Inbegriff der Zuverlässigkeit, aber seit J.D. ihm vor sechs Jahren den Job bei Lankovich besorgt hatte, hatte er keine Scherereien mehr gemacht. Und wie er selbst den Cops erläutert hatte, wäre er sicher nicht so blöde und raubte einen Laden aus, in dem er selbst seit Jahren als Kunde aus und ein ging. Wahrscheinlich wollte er sich einfach den Ärger und die Mühe sparen, seine Unschuld vor Gericht beweisen zu müssen, solange es keinen anderen Verdächtigen gab.
Auf alle Fälle hatte Butch ihn mit seinem Blick daran erinnert, dass er ihm etwas schuldete, so dass er auf die Frage der Bullen, ob es stimme, dass er und Butch zur fraglichen Zeit zusammen gewesen waren, mit den Schultern gezuckt und »ja« gesagt hatte. Gleichzeitig jedoch hatten Zorn und ein Gefühl des Verrats mit schmutzigen kleinen Rattenzähnen an seinem Inneren genagt.
»Danke, Kumpel.« Butch war, nachdem er die Tür hinter den Cops ins Schloss geworfen hatte, übermütig zurück ins Wohnzimmer getänzelt. Er hatte gegrinst, als hätten er und J.D. gemeinsam den Coup des Jahrhunderts gelandet, dann jedoch das Gesicht verzogen, als ihm aufgefallen war, dass J.D. nicht in seinen Jubel einstimmte. Schulterzuckend war er zum Kühlschrank gegangen und hatte sich eine neue Bierflasche geholt. »Willst du auch noch eine?«
»Nein.«
Butch hatte sich auf die Couch geworfen und seine Flasche wie zu einem Toast in die Luft gehalten. »Darauf, dass wir die Schweine ausgetrickst haben.«
J.D. hatte ihn wortlos angesehen.
»Was ist?«, hatte Butch ihn in genervtem Ton gefragt. »Also bitte. Bist du etwa sauer, nur weil ich dich gebeten habe, mir zu helfen? Schließlich warst du mir seit Jahren etwas schuldig.«
J.D. hätte nicht in Worte fassen können, wie sehr es ihn störte, dass ihm von seinem Freund nach all den Jahren doch noch die Rechnung für den als Kind erwiesenen Gefallen präsentiert worden war. Er war sich vorgekommen wie ein kompletter Idiot, weil er tatsächlich geglaubt hatte, so etwas würde Butch ganz sicher niemals tun. »Ja«, hatte er knapp erwidert, erst nachdenklich auf seine fast leere Bierflasche gestarrt und Butch dann reglos ins Gesicht gesehen. »Aber damit sind wir quitt.«
Während eine lärmende Besuchergruppe das Adlernest betrat und ihrer Bewunderung für die spektakuläre Aussicht lautstark Ausdruck verlieh, dachte J.D. weiter an jenen schicksalhaften Nachmittag. Er erinnerte sich an das Unbehagen darüber, dass Butch offensichtlich etwas vor ihm verbarg. Er hatte nicht gefragt, ob Butch den Laden überfallen hätte; wenn ja, wäre es besser, er wüsste nichts davon.
Andernfalls hätte er nämlich etwas unternehmen müssen – und hätte nicht gewusst, wie in aller Welt er es hätte anstellen sollen, die alte Schuld bei seinem Kumpel zu begleichen und gleichzeitig das Richtige zu tun.
Diese Frage jedoch hatte sich erledigt, als er später am selben Abend in den Nachrichten gehört hatte, dass bei dem Überfall auf einen Angestellten des Geschäfts geschossen worden war, der bewusstlos auf der Intensivstation des Highline-Krankenhauses lag.
Gleich am nächsten Tag war er zu Butch gegangen, hatte ihn gefragt, was zum Teufel er tatsächlich um vier Uhr am letzten Nachmittag getrieben
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