Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dschiheads

Dschiheads

Titel: Dschiheads Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
lachte immer wieder unmotiviert und führte Selbstgespräche, von denen ich nur ab und zu Wortfetzen verstand.
    Â»Was sagst du?«, fragte ich ihn einmal.
    Er sah mich mit seinen graublauen Augen prüfend an. Der Mund in seinem ausgemergelten, sonnenverbrannten Gesicht war von tiefen Falten gerahmt. Er öffnete und schloss ihn einige Male stumm, dann strich er sich den grauen Bart aus den Mundwinkeln und sagte: »Hör mir einfach nicht zu, Junge. Ich erzähle mir selber Geschichten.«
    Â»Was für Geschichten?«
    Er winkte ab. »Manchmal lustige, manchmal traurige.«
    Â»Warum schreibst du die nicht auf?«
    Korbinian blieb stehen und sah mich entgeistert an. »Schreiben?« Er grinste irgendwie schadenfroh und entblößte sein lückenhaftes Gebiss. »Ich kann nicht schreiben. Außerdem geht das niemanden etwas an, was ich mir ausdenke. Schreiben …« Es begann mit einem beängstigenden Rasseln in seiner Brust – ich blickte ihn erschrocken an –, wurde zu einem heiseren Kichern und schwoll an zu einem meckernden Lachen. Er schüttelte belustigt den Kopf, dass seine grauen Locken flogen. »Schreiben«, murmelte er.
    Ich zuckte mit den Achseln. »Ich meinte ja nur.«
    Korbinian sah zum Himmel. »Leg dich in den Riemen, mein Junge. Wir müssen einen Zahn zulegen, wenn wir vor der Dunkelheit wieder zurück sein wollen. Ich stolpere nicht gerne bei Nacht auf dem Floß herum – ich sehe nicht mehr so gut wie früher.«
    Das Ruderhaus am Heck war ein niedriger Aufbau, von dem die beiden mächtigen Ruder hinunter ins Wasser führten. Wir hatten kaum das Essen angeliefert, da wurde mir klar, dass diese Welt doch nicht so heiter war, wie ich am Morgen angenommen hatte. Auch hier gab es Menschen, die es darauf anlegten, anderen das Leben schwerzumachen. Ein Rudergänger am Heck – er hieß Hendrik – schien ein notorischer Nörgler zu sein. Er beschwerte sich über das Essen, der Tee in den Thermoskannen war ihm nicht heiß genug und das Trinkwasser zu warm. Er ließ seine schlechte Laune an Korbinian aus, der die Beschimpfungen mit stoischer Ruhe ertrug. Der alte Lockenkopf tat mir leid. Ich schwieg und ballte lediglich die Fäuste – bis es mir dann doch zu bunt wurde.
    Â»Warum beschwerst du dich nicht beim Floßführer oder bei der Köchin?«, sagte ich zu Hendrik.
    Â»Was sagt dieser Rotzlöffel da?«, rief der Rudergänger. Er hob die Hand und wollte mir eine verpassen, doch Korbinian ergriff seinen Arm und riss ihn herum. Nie hätte ich gedacht, dass der alte Mann so viel Kraft hatte. Er drehte sich mit einem Ruck um die eigene Achse, und Hendrik plumpste unversehens mit seinem Hintern auf die Planken.
    Â»Du lässt den Jungen in Frieden«, sagte Korbinian dann mit ruhiger Stimme. »Das ist Suk. Er ist von heute an mein Assistent. Wenn du dich beschweren willst, dann wende dich an Enoch, oder, wenn dir das Essen nicht passt, an Mildred. Die wird dir schon die Leviten lesen.«
    Ich hatte keine Ahnung, was »Leviten« waren, aber die drei anderen Rudergänger nickten, während sich Hendrik aufrappelte und uns giftige Blicke zuwarf. Er war ein kleiner Mann und trug einen schmierigen dunkelblauen Trainingsanzug, der sich über seinen wabbeligen Bauch spannte und einen Schweißgeruch verströmte, als sei er seit Tausenden von Kilometern nicht mehr gewaschen worden. Er ging zu Korbinian und spuckte ihm vor die Füße. »Altes Arschloch!«, knurrte er.
    Â»Jetzt ist aber Schluss!«, rief einer der Männer. »Lass Korbinian und den Jungen in Ruhe!«
    Hendrik nahm das Essen, das wir angeliefert hatten, tauchte unter die Sonnenplane und verschwand im Steuerhaus.
    Â»Dass du uns ja was übrig lässt, du Vielfraß!«, rief ihm ein anderer Mann nach.
    Korbinian hob den Arm zum Gruß, dann wendeten wir das Wägelchen und machten uns auf den Rückweg zur Brücke.
    Â»Er ist und bleibt ein Kotzbrocken«, murmelte der alte Mann.
    Ich nickte – voller Stolz darüber, dass ich diesem »Kotzbrocken« entgegengetreten war. Wir kamen erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück.
    Am nächsten Morgen machten wir uns früh zum Bug des Floßes auf, um den Tagesproviant abzuliefern. Von weitem schon sah man die große Schiffsglocke, die an einem galgenähnlichen Gebilde hing und mit der das Floß weit hallend sein Nahen

Weitere Kostenlose Bücher