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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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konnten Monate vergehen, die intelligenten Tiere erkannten ihren Herrn oder ihre Herrin trotzdem sofort wieder. Jeder andere dagegen lief Gefahr, von ebendiesem Schwein angegriffen oder sogar getötet zu werden. Ein Phänomen, das mich faszinierte.
     
    Die anderen Fayu hörten nicht auf mit ihren Warnschreien. Irgendetwas stimmte nicht. Jetzt waren die Schweine nur noch wenige Meter von jenem Mann entfernt. Plötzlich drehte er sich um, und ich erschrak, denn nun erkannte ich ihn: Es war Nakires Bruder, und er war taub!
    Dann sprangen die Wildschweine ihn an. Er stürzte zu Boden, bevor er einen Laut von sich geben konnte. Ich schloss die Augen, hörte nur noch das Gebrüll der wild gewordenen Tiere, die sich über diesen wehrlosen Mann hermachten. Als ich sie wieder öffnete, sah ich, wie ein paar Fayu-Männer mit Pfeil und Bogen an unserem Baum vorüberliefen. Aber was würden sie tun? Das Wildschwein eines anderen Fayu zu töten war verboten – selbst wenn es einen Menschen gefährdete. Aber gottlob kam es gar nicht so weit, denn aus dem Dorf stürzte der Besitzer der Schweine herbei, warf sich ins Gedrängel und scheuchte die Tiere weg.
    Mama hatte den Lärm gehört und eilte zu Hilfe. Als die Wildschweine im dichten Urwald verschwunden waren, kletterte auch ich vom Baum und rannte gemeinsam mit den anderen Fayu zu Nakires Bruder. Er lag im Gras, Blut floss aus mehreren Wunden, doch er lebte noch. Mama holte ihr Verbandszeug und versorgte ihn mit dem Nötigsten. Er konnte nicht reden und gab unverständliche Klagelaute von sich. Er tat mir in diesem Moment so Leid, obwohl ich ihn immer als unangenehm empfunden hatte und ihn ein paar Jahre später fast hassen würde, als er versuchte, meine erste Fayu-Freundin mit Gewalt zur Frau zu nehmen. Doch das ist eine andere Geschichte.
    Fayu-Krieger mit einem toten Wildschwein auf dem Rücken
    Dank der Salben, mit denen Mama seine Wunden versorgte, entwickelte sich keine Infektion, und er erholte sich schnell. Nach diesem Vorfall wurden wir extrem vorsichtig und blieben immer in der Nähe eines Baumes, um sofort flüchten zu können, sollten wieder einmal Wildschweine aus dem Urwald gerast kommen. Und doch erlebten wir noch mehrmals knappe Situationen.
    An einen Fall erinnere ich mich besonders lebhaft, weil er meine Schwester betraf: Tagelang hatte es nicht geregnet, und wir hatten mal wieder eine riesige Sandbank vor unserem Haus. Dort spielten wir mit Hingabe; ich zum Beispiel träumte zu der Zeit davon, Gold zu finden, und sammelte schöne Steine, die mir viel versprechend erschienen. Ich lief damit ins Haus, um sie in meinem Rucksack zu verstauen, und als ich wieder nach draußen kam, stand zwischen Haus und Fluss ein ganzes Rudel Wildschweine. Ich warnte Judith, die noch immer auf der Sandbank spielte. Die Fayu hatten schon Zuflucht in den Bäumen gesucht. Da bemerkte ich, dass eines der Wildschweine zur Sandbank hinüberschaute, und plötzlich kam Bewegung in das Rudel.
    Über all die Jahre haben uns die Fayu mehrmals aus Gefahren gerettet. So versuchten sie es auch jetzt; mit rudernden Armen und lautem Geschrei wollten sie die Schweine vertreiben, doch sie waren noch zu weit entfernt. Mit großen Augen beobachtete ich das vor mir abrollende Szenario, das in gewisser Weise auch seine Komik hatte, wie ich mir später eingestand: meine große Schwester mit ihren langen Zöpfen, die hinter ihr herflogen, wie sie da über die Sandbank flitzte; ein Rudel Wildschweine, die sie jagten; Fayu-Krieger mit Pfeil und Bogen hinterher, und ganz am Schluss Papa, der mal wieder die rettende Idee hatte: »Ins Wasser, lauf ins Wasser!«, schrie er.
    Judith machte eine scharfe Wende und stürzte sich in den Fluss – und die Wildschweine rasten an ihr vorbei in den Urwald, als hätten sie uns nur eben einen Schreck einjagen wollen. Das Verhalten dieser Tiere ist mir bis heute unverständlich geblieben.
     
    Wir wurden danach noch mehrmals gejagt, doch mit der Zeit wurden unsere Reflexe schneller, unsere Reaktionen besser, und es gelang uns, mit eigener Kraft zu entkommen. Meine Instinkte entwickelten sich erstaunlich, und manchmal spürte ich die Gefahr bereits, bevor sie überhaupt sichtbar wurde. Ich lernte die Zeichen der Natur zu lesen, konnte an den Lauten der Tiere hören, ob alles sicher war oder Unheil drohte – die Tiere des Urwalds haben einen phänomenalen Instinkt und vermochten sogar Erdbeben oder einen Sturm im Voraus zu ahnen und rechtzeitig Schutz zu suchen. Dies

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