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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Bäumen hoch, um die Windlage zu überprüfen. Wir hielten den Atem an. Der Pilot Rex, ein Amerikaner, der mit seiner Familie in Danau Bira lebte, flog, so tief er konnte, das Fenster des Flugzeugs war weit offen. Ich erkannte Uncle Rex sofort, der im Cockpit saß, seinen Arm weit aus dem Fenster reckte und unseren Postsack abwarf.
    Jetzt begann das große Spiel: Wer war am schnellsten bei der Tasche? Alle rannten los in Richtung Ufer. Der Sack hatte mal wieder nur knapp den Fluss verpasst und war auf der Sandbank gelandet. Wir jubelten, weil bei der letzten Lieferung alles ins Wasser gefallen war, und obwohl die Post in Plastikumhüllungen steckte, waren viele der Briefe nass geworden. Es hatte Tage gedauert, bis alles getrocknet war, und manches blieb trotzdem unlesbar.
    Mit Tanz und Gejubel wurde die Post zu uns gebracht. Dieses Bild kommt mir heute oft in den Sinn, wenn ich unseren Briefträger auf seinem Fahrrad gemütlich durch die Nachbarschaft gondeln sehe. Was er wohl von unserer Dschungelmethode der Briefzustellung halten würde?
    Die Lieferung der Post nahmen wir immer zum Anlass, um eine Feier zu veranstalten, mit Tanz, viel Essen und spannenden Geschichten. Denn in der Fayu-Kultur gab es keine Feste, weder bei Geburten noch zu anderen Anlässen. So erfanden wir Gelegenheiten, um zu feiern.
    Mama hatte meistens schon einen großen Topf Reis fertig, und gemeinsam mit den Fayu saßen wir dann um eines der Feuer, die immer über das Dorf verstreut hie und da brannten. Nach Ende der Festlichkeiten machten es sich Mama und Papa endlich am Esstisch gemütlich und öffneten ihre Briefe. Heute kann ich verstehen, weshalb die Post so wichtig für meine Eltern war. Es war das einzige Fenster zu ihrer Heimat, und sie müssen sich oft danach gesehnt haben, aus Deutschland, von den Freunden und Verwandten dort, Nachricht zu erhalten. Ich aber war heute die Einzige, die keinen Brief in Händen hielt, noch nicht einmal von meiner geliebten Großmutter in Bad Segeberg, die eigentlich meistens an mich dachte. Traurig legte ich mich auf mein Bett. Das tat Judith dann doch Leid.
    »Sabine«, sagte sie und kam zu mir, »schau mal, ich habe diesmal fünf Briefe bekommen. Die brauche ich nicht alle. Warum nimmst du nicht einen davon?«
    Sie überreichte mir einen schönen lila Briefumschlag mit vielen Briefmarken drauf. Dankbar – und völlig uninteressiert am Inhalt – gab ich ihr einen Schlabberkuss auf die Wange und rannte zur Haustür. Ich wollte meinen Schatz unbedingt sofort Bebe und Tuare zeigen. Die würden staunen!

Dschungelgefahren
    E ines Morgens, die Schularbeiten waren schon erledigt, flitzten wir über den braunen Lehmboden zwischen den Bäumen hindurch, als ich einen durchdringenden Schrei hörte. Augenblicklich blieb ich stehen, Tuare und Bebe dicht hinter mir. Eine lange Sekunde standen wir dort, während ich versuchte, die Richtung, aus der der Schrei kam, zu orten. Doch mein Orientierungssinn war noch nicht so gut entwickelt wie der von Tuare und Bebe. Denn schon packte mich Bebe am Arm und zog mich mit einer Kraft, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte, zum nächsten Baum. Ich wusste nicht, was los war, hatte aber schon gelernt, ihren Instinkten zu vertrauen, und spürte selbst, dass irgendeine Gefahr im Anzug war. Mit rasender Geschwindigkeit kletterten wir nach oben.
    Unten entdeckte ich Christian, der ganz in der Nähe ruhig am Feuer saß. Ich rief ihm zu, er solle auch so schnell wie möglich auf einen Baum klettern, und es klang wohl so dringlich, dass er es tat, ohne weiter zu fragen. Und kaum war er oben, raste eine ganzes Rudel Wildschweine an uns vorüber in Richtung Hubschrauberplatz.
    Aus meiner sicheren Höhe erkannte ich einen einzelnen Fayu-Mann, der ganz in Ruhe, als hätte er alle Zeit der Welt, in Richtung Dorf ging. Warum rannte er nicht oder flüchtete ebenfalls auf einem Baum? Er musste doch den furchtbaren Lärm hören? Die Wildschweine kamen ihm immer näher. Vielleicht waren es seine eigenen, und er hatte deshalb keine Angst?
    Ich wusste zu dieser Zeit schon, dass die Fayu sich manchmal Wildschweine zähmten. Es war ein Ritual, das ich mehrmals miterlebt hatte: Sie nahmen sich einen sehr jungen Frischling und hielten ihn drei Tage lang im Arm, ohne ihn auch nur einmal loszulassen, kraulten ihn am Bauch, gaben ihm zu essen, schliefen im selben Bett mit ihm. Nach drei Tagen ließen sie ihn wieder im Urwald frei. Von dem Tag an betrachtete das Schwein sie als ihren Anführer. Es

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