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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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versuchte ich mir zunutze zu machen.
     
    Bald darauf hatten wir eines Abends einen starken Sturm. Der Wasserspiegel stieg rapide, nur ein kleiner Teil der Sandbank war noch zu sehen.
    Wir Kinder spielten Fangen. Unsere Fayu-Freunde verstanden den Sinn dieses Spieles nicht, obwohl sie es liebten, und um es bildlicher zu machen, nannten wir es »Das Wildschweinspiel«. Einer von uns war der Jäger, der Rest die Wildschweine. Wenn der Jäger ein Schwein berührte, wurde dieses zum Jäger, was die Fayu-Kinder natürlich verblüffte: Sollte es nicht lieber tot umfallen? Nach langen Diskussionen entschieden wir uns aber für unsere, die Kueglersche, Variante; das Spiel wäre sonst zu schnell zu Ende gewesen. Die Fayu-Kinder konnten nämlich schneller rennen als wir, und wir wollten nicht immer als tote Wildschweine herumliegen …
    So jagten wir einander um das Haus herum, vorbei an dem kleinen Holzbüro, wo mein Vater vergeblich versuchte, sich trotz Kindergeschrei auf die komplizierten Tonmodulationen der Fayu-Sprache zu konzentrieren. Christian war der Jäger, und er jagte mich, weil ich die langsamste der Beute war. Ich rannte wie eine Verrückte und hatte den Plan, über das Wasser zu entkommen. Also lief ich zum Ufer und sprang nach unten auf die Sandbank.
    Doch noch während ich in der Luft war, hörte ich Schreie. Ich schaute nach unten auf die Sandbank, und mein Herz setzte aus: Genau unter mir lag eine lange dunkle Schlange, die sich in der Sonne wärmte! Innerhalb von Hundertstelsekunden erkannte ich die Gefahr und reagierte blitzschnell. Auf der Schlange zu landen konnte tödlich für mich enden. Ich musste sie verfehlen, musste um jeden Preis schneller reagieren können als die Schlange. Aber wie, um Himmels willen? Sie lag genau unter mir!
    Heute weiß ich nicht mehr, wie ich es gemacht habe. Ich streckte Arme und Beine von mir, machte meinen Körper so breit, wie es ging, und landete auf allen vieren, die Schlange genau unter meinem Bauch. Ich wusste, die Schlange würde dort angreifen, wo sie Bewegung spürte. Doch weil mein Körper an vier verschiedenen Stellen aufkam, war sie verwirrt und zögerte eine Sekunde. Sofort nach dem Aufprall sprang ich mit aller Kraft so weit weg, wie ich konnte. Raus aus der Gefahrenzone …
    Hinterher fühlte ich mich unbesiegbar. Schnurstracks lief ich zu meiner Mutter und erzählte ihr, dass eine riesige Giftschlange mich fast umgebracht hätte! Mama lächelte höflich. Diesmal, so mochte sie gedacht haben, ist wirklich die Fantasie mit meiner Tochter durchgegangen …
     
    Danach wurde ich vorsichtiger und lernte eine wichtige Regel der Natur: Greife niemals dorthin, wo du nichts sehen kannst; mach keinen Schritt, ohne dich vorher zu vergewissern, dass keine Gefahr und auch kein Hindernis im Weg liegt, steht, sitzt oder hängt. Stecke niemals deine Hand unter einen Baumstamm oder in ein Gebüsch – es könnte ein Skorpion oder Ähnliches darunter lauern. Und nachdem ich einige Kakerlaken und Spinnen in meinen Tennisschuhen (die ich kaum trug) zerquetscht hatte, zog ich niemals mehr Schuhe an, ohne sie zuvor ausgeschüttelt zu haben. Es ist mir beim Ausklopfen meiner Kleidung noch mehrmals passiert, dass Skorpione, giftige Spinnen und anderes aus meinen Schuhen fielen oder genau da saßen, wohin ich gerade greifen wollte. Bald gingen mir diese Vorsichtsmaßnahmen in Fleisch und Blut über, wurden zur alltäglichen Routine, ohne dass ich weiter darüber nachdachte. Und in meinen ersten Jahren in der westlichen Zivilisation sorgte ich damit für einige Erheiterung.
    Aber natürlich darf man auch nicht denken, dass hinter jedem Baumstamm, hinter jeder Ecke eine Schlange oder ein anderes giftiges Tier lauert. Ich habe während meines Aufenthaltes im Dschungel schnell gelernt, dass Tiere nur dann angreifen oder gefährlich werden, wenn sie sich bedroht fühlen. Solange man einen sicheren Abstand einhält, besteht keine Gefahr. Vielmehr mussten wir uns immer wieder vor Augen halten, dass harmlos aussehende, schöne Dinge wie der große Fluss oder ein Feuer von Menschenhand uns viel gefährlicher werden konnten. Zweimal hätten wir Christian, auf diese Weise fast verloren …
     
    Die Fayu hatten ein Wildschwein getötet und zündeten ein großes Feuer an, um das frische Fleisch zu räuchern. Christian und ich spielten mit den Fayu-Kindern mal wieder Fangen. Wir jagten uns gegenseitig ums Haus, am Ufer entlang und bis ins Dorf. Es war ein wildes Spiel geworden.
    »Babu,

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