DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
sah er auch nur einen einzigen Zweig, geschweige denn einen Baum, um auch nur das geringste bisschen Schatten zu spenden. Überall, wohin er schaute, traf sein Blick auf die gleiche einfarbige Landschaft – eine Welt, ausgelaugt von Farbe, bis alles, was übrig blieb, eine in Schattierungen von tödlichem Weiß grundierte Palette war. Selbst der Himmel oben war verblasst: vom Blau zu einer grausigen Tönung der Farbe alter Knochen.
Die Luft war nicht nur stickig, sondern unbeweglich – zu heiß und zu schwer, um sich zu bewegen. Das Atmen war eine lästige Arbeit, die für die Anstrengung nur wenig Belohnung zu bieten schien. Es würde einfacher sein, überlegte Charles, die beschwerliche Arbeit einfach aufzugeben und zu ersticken, als die körperliche Anstrengung fortzuführen. Dennoch – ein höheres Ziel trieb ihn an.
Schließlich stießen sie auf eine gewaltige stehende Steinplatte und trafen den Entschluss, anzuhalten und eine Rast einzulegen, bis die Hitze nachlassen würde. Der stehende Stein war ein Monument aus rotem Granit, der die Grenze des Herrschaftsbereichs irgendeines Pharaos markierte.
Die Pause verwandelte sich in ein Lager für die Nacht, da niemand weder die Kraft noch den Willen aufbrachte, den Marsch fortzusetzen. Sobald die Zelte errichtet waren und mit der Zubereitung des Essens begonnen wurde, gestattete sich Charles, eine philosophischere Gesinnung in Erwägung zu ziehen. Im Endeffekt, befand er, war es eine vergebliche Mühe, den Fortschritt in zurückgelegten Meilen zu zählen. Sich in der Wüste abzuhetzen konnte nur einen Sonnenstich oder Schlimmeres zur Folge haben.
Seine neue Einstellung dauerte bis zum nächsten Morgen, als er fortstürmte auf der Suche nach der pyramidenförmigen Hügelspitze, die den Eingang zum verborgenen Wadi markierte. Er schwebte regelrecht den staubigen Pfad dahin und schenkte der Tatsache, dass er sein Gefolge rasch abgehängt hatte, nur wenig Aufmerksamkeit – bis Charles sich umdrehte, nachdem er Rufe hinter sich gehört hatte, und sah, dass der Eselszug weit hinter ihm war. Er seufzte und setzte sich hin, um darauf zu warten, dass sie ihn einholten.
Während er wartete, studierte er seine handgezeichnete Karte und verglich sie mit der ihn umgebenden Landschaft: Er war ganz vertieft in diese Überprüfung, bis ein Schatten auf das Papier fiel, der Charles aus seiner Begutachtung hochfahren ließ. Er blickte auf und sah den jungen Shakir, der über ihm stand und auf das Papier starrte. Charles gab es ihm, rappelte sich hoch und wies auf die Reihe hoher Klippen, die sich in der Ferne erstreckten; dann schlug er leicht auf das Blatt.
Shakirs schwarze Augen verengten sich, als sich seine dunkle Stirn zu einer Geste der Konzentration nach unten zog. Charles zeigte auf seine Karte und deutete auf den Pyramidengipfel hin; als Nächstes legte er den Finger auf die Einbuchtung im Hügel, was als Darstellung der verborgenen Schlucht gemeint war, die zu ihrem Zielort führte.
Der junge Mann nahm die Karte und drehte sie in diese und jene Richtung, dann flitzte er plötzlich den Pfad entlang. Charles rief ihm hinterher und beobachtete anschließend, wie Shakir Halt machte und die Hügel absuchte. Danach kam er in die andere Richtung zurückgerannt und eilte an Charles vorbei nach Süden hin.
»Okay, Sekrey! «, verkündete der junge Mann, als er ein paar Minuten später zurückkehrte. Schweißüberströmt, doch triumphierend klopfte Shakir leicht auf das Papier, streckte rasch seine Hand weit aus und zeigte auf die Reihe zerklüfteter Felsnasen, die sich über dem Pfad nach Süden abzeichneten.
Charles, der dieser Behauptung Glauben schenkte, nickte und zeigte an, dass Shakir die Richtung weisen sollte. Sie setzten ihren Marsch fort, gingen die Reihe von kleinen Vorbergen entlang und erreichten schnell die Stelle, die Shakir identifiziert hatte. Nach wenig mehr als einer Viertelmeile – entsprechend Charles’ grober Schätzung – entdeckte er eine Lücke am Fuße der sich erhebenden Hügelgruppe: Es war nicht die Bresche, die Charles sich vorgestellt hatte, sondern mehr eine einfache Überlappung, wie die nach innen gerichtete Falte einer gerafften Gardine. Da diese Unregelmäßigkeit der einzige Kandidat für eine Erkundung war, den sie bislang aufgetan hatten, entschied Charles, sie zu erforschen. Noch bevor sie jedoch die Lücke erreichten, konnte er sehen, dass es sich tatsächlich um den Eingang zu einem ziemlich großen Wadi handelte.
Während
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