DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
Bestimmungsort vor Anbruch der Dunkelheit erreichen könnte; und er rechnete damit, dass ein fremder Reisender, der nach Eintritt der Dunkelheit ankam, nicht die Art von Willkommen vorfinden würde, die er sich wünschte. Egal, er war mit einer Ausrüstung für diese Eventualität hergekommen. In seinem Bündel führte er ein wenig Essen mit sich und eine Bettdecke aus Leinen – eine Art ein Laken, das ihn warm halten würde, wenn in den Stunden vor der Morgendämmerung die Wüstenluft unangenehm kühl wurde.
Eine Nacht ungemütlich schlafend zu verbringen machte Charles nicht die geringsten Sorgen. Das war etwas Regelmäßiges, wenn nicht gar Vorhersehbares während seiner Jahre an der Universität: Türeingänge, Gewölbe, Kirchengestühle, Marktbudenbänke – diese und andere Plätze hatten ausgereicht als spontane Unterkünfte. Draußen unter den Sternen zu schlafen würde im Vergleich dazu ein Luxus sein. Jetzt war er freilich älter, aber nicht so viel älter, dass er nicht eine Nacht unter dem wie von Diamanten übersäten Sternenzelt der Milchstraße genießen könnte.
Als die Sonne unter die westlichen Hügel fiel und den Himmel mit geschmolzener Bronze entflammte, fand Charles eine stämmige Dattelpalme am Rande eines Sesamfeldes und schlug sein einfaches Lager auf. Nachdem er auf das umliegende Strauchwerk eingeschlagen hatte, weil er aus ihm alle ansässigen Schlangen und Skorpione vertreiben wollte, schichtete er ein paar trockene Palmwedel aufeinander, um ein akzeptables Bett zu machen, und breitete darauf das Tuch seines Turbans aus. Er setzte sich nieder, mit dem Rücken gegen den Baum gelehnt, und ruhte sich aus; er trank in kleinen Schlucken etwas Wasser und lauschte den Zikaden und Grillen und den letzten Rufen der nachtschlafenden Vögel. Langsam, sehr langsam lockerte die Hitze ihren Griff, in dem sie Charles gepackt hatte, und er spürte, wie sich sein Körper entspannte. Er öffnete sein Bündel und nahm sein Abendessen heraus – ein Festessen aus Nüssen und getrockneten Früchten, einigen harten Plätzchen, gepökeltem Rindfleisch und einem Apfel. Nach der Härte des Tages hätte die einfache Verpflegung den abgestumpftesten Gaumen zufriedengestellt, und Charles genoss jeden Bissen.
Die Nacht schlich sich von Osten herein; sie löschte die letzte Glut des Tages aus und tauchte das Flachland in kühle blaue Schatten. Charles benutzte sein Bündel als Kissen und streckte sich aus, und beim Zählen der Sterne, die langsam kreisend am Himmel erschienen, nickte er ein. Er schlief tief und fest, wurde allerdings kurz vor Sonnenaufgang wieder wach – aufgestört aus seiner Ruhe durch das Bellen von Hunden. Da es nicht gut sein würde, zu früh in dem am Ufer gelegenen Weiler einzutreffen, nahm er sich Zeit mit seiner morgendlichen Toilette: Leichtsinnig verschwendete er ein wenig von seinem kostbaren Wasser, um sein Gesicht und die Hände zu waschen, und er kämmte sich das Haar und bürstete seine Kleidung, um sich selbst so vorzeigbar wie nur möglich zu machen. Er aß eine weitere Hand voll Nüsse und Früchte, während er darauf wartete, dass sich die Sonne über die Felder der Umgebung erhob.
Erfrischt machte er sich wieder auf den Weg, hinein in den silbrigen Dunstschleier eines wolkenlosen Tages. Als er sich dem Dorf näherte, konnte er den feuchten, erdigen Duft riechen, der von dem großen, jetzt nicht zu sehenden Fluss ausging. Am Rande der Siedlung wurde er von einem Rudel Hunde begrüßt, die ihren Herren seine Ankunft mit lautstarker Begeisterung ankündigten. Als Charles das Zentrum der Siedlung erreichte, hatte sein kläffendes Gefolge jeden in Hörweite darauf aufmerksam gemacht, dass in ihrer Mitte ein Fremder anwesend war. Da er wusste, dass man ihn beachtete und beobachtete, ging er weiter zum Gemeindebrunnen. Dort löschte er seinen Durst und füllte seinen Trinkschlauch wieder auf, während er darauf wartete, vom Dorfvorsteher oder -ältesten empfangen zu werden.
Der ließ nicht lange auf sich warten. Die von Natur aus neugierigen Landbewohner konnten das Geheimnis dieses Fremden in ihrer Mitte, der sie besuchte, nicht ertragen. Ein weißhaariger Mann in einem verschlossenen blauen Kaftan näherte sich und blieb dann stehen, gestützt auf seinen Stock.
»Salaam alaikum« , sagte Charles und streckte seine Hand aus.
»Alaikum salaam« , erwiderte der Ältere. Er schlug nicht in die dargebotene Hand ein, doch hob er seine eigene zur Begrüßung.
War Charles’ Arabisch
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