DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
Wenn alles nach Plan läuft, solltest du allerdings – relativ gesprochen – in der Lage sein, es innerhalb eines Tages zu schaffen. Du wirst dich rückwärts in der Zeit bewegen und das Jahr 1665 als Ziel anpeilen – obwohl jeder Zeitpunkt zwischen 1663 und 1667 wahrscheinlich akzeptabel sein wird.«
»So genau? Wirklich?«
Brendan lachte; seine Stimme ertönte klar in der frühen Morgenluft. »Schön wär’s! Das wär mal was anderes.« Er blickte sie funkelnd an; er genoss ihre unschuldsvolle Reaktion. »Die Verlockung, vor dir zu prahlen, ist beinahe unwiderstehlich. Aber nein, eine solche Sachkompetenz nehme ich nicht für mich in Anspruch. Wir können in diesem Fall jedoch ziemlich sicher sein, weil London zu jener Zeit das Zuhause von Sir Henry Fayth ist. Cosimo Livingstone ist zufälligerweise ebenfalls ein Londoner. Als Mitglieder unserer Vereinigung sind Sir Henry und Cosimo über die Jahre hinweg wegen zahlreicher Aufgaben der Gesellschaft hin- und hergereist: Sie hatten genügend viele Gelegenheiten, um den Weg genau zu ermitteln und sehr gut zu dokumentieren.« Er lächelte sie an. »Du folgst ihnen einfach in ihren Fußstapfen.«
»Beinahe buchstäblich«, merkte Cass an.
»Die Notizen, die ich dir gegeben habe, sind aus der Wegbeschreibung, die Cosimo Livingstone zu den Akten gelegt hat. Sie führen dich zum Clarimond House, Sir Henrys Wohnsitz in London. Befolge sie buchstabengetreu, und du solltest nicht zu weit vom Weg abkommen.« Er blickte sie von der Seite an. »Ich würde mit dir gehen, aber Angelegenheiten der Gesellschaft halten mich im Augenblick hier fest.« Er gab ihr einen beruhigenden Klaps auf den Rücken. »Sorge dich nicht. Wenn das vorüber ist, wirst du Lektionen in Ley-Reisen geben.«
»Hoffen wir’s.« Cass dachte einen Moment nach, dann fragte sie: »Wie sieht eigentlich der Mechanismus aus, der hierbei beteiligt ist? Was für ein Phänomen dient als Antrieb, der das Ley-Reisen ermöglicht?«
»Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage«, erwiderte Brendan. »Die kurze Antwort lautet: Wir wissen es immer noch nicht. Wir haben Theorien.« Er lachte kurz auf. »Viele gute und nützliche Theorien.«
»Nenn mir eine.«
»Nun, die beste Hypothese ist, dass dort, wo zwei Dimensionen eines multidimensionalen Universums aufeinandertreffen, sie eine Linie der Kraft in der physikalischen Landschaft formen.«
»Ein tellurisches Energiefeld«, sagte Cass.
»Du weißt Bescheid über tellurische Energie – gut. Für uns Erdlinge manifestiert sie sich als gerade Linie, doch es gibt Anlass, zu vermuten, dass dieses Energiefeld in Wirklichkeit alles andere als gerade ist. Wenn wir die physikalische Apparatur hätten, um dieses Kraftfeld in seiner tatsächlichen multidimensionalen Darstellung wahrzunehmen, würde es meiner Vermutung nach ganz anders aussehen.« Brendan blickte Cass an. »Hast du jemals das nördliche Polarlicht gesehen?«
»Nur auf Bildern«, antwortete Cass.
»In den Nordlichtern hast du diese ungeheuren Wirbel und dieses gigantische Gewirr von hochenergetischen Partikeln, die von einem heftigen Sonnenwind wild durch die obere Atmosphäre gepeitscht werden. Das Phänomen erscheint Beobachtern unten auf der Erde als ein gewaltiger schimmernder Vorhang aus geisterhaftem Licht, der sanft in einer Brise weht, die sie nicht zu fühlen vermögen.« Er blickte Cass erneut an, als er abschließend erklärte: »Wenn wir eine Ley-Linie so wahrnehmen könnten, wie sie wirklich in Raum und Zeit ist, dann würde sie, wie ich glaube, genau so aussehen.«
»Und diese chaotische, wie von Peitschenhieben erzeugte Bewegung soll das sein, was sie so unvorhersehbar macht, nehme ich an«, äußerte Cass vorsichtig. Als Brendan zustimmend nickte, entgegnete sie rasch: »Aber wir Reisende erfahren nichts dergleichen, wenn wir einen Sprung machen. Für mich zumindest ist es mehr wie ein Blinzeln mit dem Auge: In dem einen Moment bist du an einem bestimmten Ort, und im nächsten Augenblick bist du anderswo – und nichts ist dazwischen. In Wirklichkeit reist man überhaupt keine Wegstrecke.«
»Es ist komisch«, erwiderte Brendan, »doch die meisten Leute hören den Begriff ›Quantensprung‹ und glauben, es sei ein gewaltiger, übermenschlicher Sprung, aber in Wirklichkeit ist es nichts dergleichen.«
»Tatsächlich ist es das genaue Gegenteil«, sagte Cass. »Ein Elektron knallt von einer Ebene zur anderen auf seiner Umlaufbahn um den Kern eines Atoms herum – es bewegt sich einfach
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