DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
während der Wagen die Straße entlangrumpelte. Sie kamen an frisch geernteten Feldern vorbei, die eine Seite der Straße säumten, indes auf der anderen Seite der gemächlich und sanft dahingleitende Fluss sich an Ufern mit hohem, verwildertem Gras entlangschlängelte. Während die anderen beiden auf Deutsch mit dem Bauern plauderten, wandte Kit seine Aufmerksamkeit der Landschaft zu. Etwas in der Luft oder dem Licht – oder auch durch die vertraute altertümliche Atmosphäre dieses Ortes – löste bei Kit einen Tagtraum aus; und bald ertappte er sich dabei, wie er über die Erlebnisse jener Nacht grübelte, als er Burleigh mit knapper Not entkam und Giles angeschossen wurde. Es war exakt auf dieser Straße hier gewesen – vielleicht in der Nähe genau dieser Stelle, die gewissermaßen den Tatort darstellte –, wo es sich ereignet hatte. Sie waren zu Fuß und Burleigh zu Pferde gewesen; überdies hatte der Earl eine Pistole gehabt. Außerstande, ihrem berittenen Verfolger davonzulaufen, hatten sie versucht, Burleigh aus dem Sattel zu heben. Und dann hatte Giles eine Kugel in den Arm bekommen, was Kit die Möglichkeit eröffnete, in der allgemeinen Verwirrung zu fliehen.
Kit hatte bislang nie allzu viel Zeit damit zugebracht, über jene Nacht nachzudenken. Dadurch, dass er in der Steinzeit gestrandet war und mitten unter den Fluss-Stadt-Clanmitgliedern gelebt hatte, war er zweifellos mit einer solchen Menge von neuen und beängstigenden Gefahren konfrontiert worden, dass im Vergleich dazu Burleigh und seine schrecklichen Pläne zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft waren. Aber jetzt beschäftigten der skrupellose Lord Burleigh und seine Strolche Kits Gedanken; und die Vorstellung, dass sie immer noch durch irgendeine dunkle Gasse schleichen könnten und darauf warteten, sich auf Kit und seine Gefährten zu stürzen, erfüllte ihn mit erneuter Furcht. Was wollten sie mit ihm, Kit, überhaupt anstellen? Wichtiger noch, weshalb wollten sie seinen Tod? Ging es einfach darum, dass sie ihn aus dem Weg haben wollten? Oder steckte mehr dahinter?
Während Kit über diese Dinge nachdachte, verfiel er in eine melancholische Stimmung, die andauerte, bis er sah, wie sich in der Ferne die Stadtmauern erhoben. Sobald der Wagen die Stadttore passiert hatte, wandten sich seine Gedanken dem besonderen Abendessen zu, das Wilhelmina ihnen versprochen hatte. Als er an ein leckeres Schnitzel und eine Flasche mit kühlem, schäumendem Bier dachte, lief ihm das Wasser im Mund zusammen, und er verbannte alle Gedanken an Burley-Männer und mitternächtliche Verfolgungsjagden.
Der Wagen rollte die schmale, ansteigende Straße vom Tor zum Marktplatz in der alten Stadt hoch. Dort bat Wilhelmina den Fahrer, kurz anzuhalten, während sie ihre Rucksäcke ergriffen und vom Wagen stiegen; dann sagte sie ihm, er solle nach Beendigung seiner Geschäfte zu dem Großen Kaiserlichen Kaffeehaus kommen, und dort würden eine hübsche, heiße Tasse Kaffee und frischer Strudel auf ihn warten.
»Danke!«, rief der Bauer und schnappte sich die Zügel, um seine Pferde anzutreiben.
Während sie über den Platz zum Kaffeehaus schlenderten, fragte Kit: »Was vermutest du – wie viele Tage sind vergangen, seitdem du zuletzt hier gewesen bist?« Er erinnerte sich an ihr vorhergehendes Gespräch und fügte hinzu: »Oder vielleicht sollte ich fragen, ob du schon weggegangen bist.«
Wilhelmina lachte. »Das ist mir in Prag niemals passiert. Noch nicht. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass zwei oder drei Tage vergangen sind, seitdem ich weggegangen bin. Selten war ich mehr als vier Tage fort. Einmal war ich eine Woche weg, aber da unterlief mir ein Irrtum.« Sie zuckte leicht mit einer Schulter. »Wir werden es schon bald herausfinden.«
Mina eilte zur Tür des Großen Kaiserlichen Kaffeehauses und flitzte hinein. Kit und Bruder Lazarus traten hinter ihr ein und fanden einen Raum voller Gäste vor, die ihren Morgenkaffee zu sich nahmen. Grün-weiß livrierte Bedienstete beförderten Kaffeekannen und Teller mit Gebäck zu den Tischen in einer Atmosphäre, in der es nach frisch gebackenem Brot duftete und bei der man automatisch an angenehme Gespräche dachte. Die Stimmung war fröhlich und unbeschwert, und Kit wurde erneut daran erinnert, was für ein großer geschäftlicher Erfolg Wilhelmina und Engelbert hier gelungen war.
Mina war im Eingangsbereich stehen geblieben und überblickte die Szenerie mit offensichtlichem Vergnügen. »Macht es euch
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