DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
um.
Der geschniegelte Priester ging direkt auf den Tisch zu, der der Küche am nächsten war und wo sich Kit niedergelassen hatte. »Mein Besorgungen sind abgeschlossen«, verkündete Bruder Lazarus, »und ich bin zurückgekehrt – erfrischt, erneuert und bereit.«
Genau in diesem Moment tauchte Mina aus der Küche auf. Sie sah ihn und rannte zu ihm, um ihn zu begrüßen. »Ich habe angefangen, mir Sorgen zu machen …« Sie hielt plötzlich inne und ließ seine dramatisch veränderte Erscheinung auf sich wirken. »Lass dich mal genau ansehen! Was um Himmels willen hast du zu erledigen gehabt?«
»Ah, Signorina Mina.« Er verbeugte sich vor ihr, küsste ihre Hand und hielt sie dann fest, während er sprach. »Ich habe die wunderbarste Zeit meines Lebens gehabt. Ich bin in Rom gewesen und habe mich in eine Sprachschule eingeschrieben.«
»Und Englisch gelernt, wie ich höre.«
»Certamente« , antwortete er. »Die Jesuiten-Sprachschule ist unübertroffen. Ich habe ein Talent für Sprachen, wie du weißt.« Sein Lächeln wurde breit vor Vergnügen. »Ich war ein Spitzenschüler.«
»Was du nicht sagst.« Mina schüttelte den Kopf. »Du hast auch einen Schneider aufgesucht.«
»Eine kleine Schwäche.« Er drehte sich langsam im Kreis. »Gefällt es dir?«
»Sehr adrett«, erwiderte sie anerkennend. »Sogar elegant.«
»Hervorragend. Ich bin zufrieden.«
»Du hast all dies in drei Tagen gemacht?«, fragte Kit verwundert. »Ich bin wirklich beeindruckt.«
»Nein, nein, Mister Kit«, entgegnete der Priester und wedelte warnend mit dem Zeigefinger hin und her. »Vielleicht drei Tage in eurer Zeit an diesem Ort – aber fast vier Jahre für mich.«
»Natürlich«, sinnierte Kit, der den Wagemut und die Klugheit zu würdigen wusste, die in solch einer zielgerichteten Handhabung des Ley-Reisens sichtbar wurden. Wie Mina gezeigt hatte, konnte ein Reisender durch eine sorgfältige Kalibrierung des Absprungpunktes innerhalb von wenigen Tagen nach dem Verlassen eines Ortes wieder zurückkehren, gleichgültig, wie lange er oder sie weg gewesen war. Bei ihm hat Mina das also gelernt , dachte er.
»Wenn wir weiterhin zusammenarbeiten werden«, fuhr der Priester fort, »ist es offensichtlich sinnvoll, dass wir in der Lage sein sollten, in einer gemeinsamen Sprache miteinander zu reden. Es war höchst logisch, dass ich Englisch in seiner modernen Version lernen sollte. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.«
»Bist du hungrig?«, erkundigte sich Mina.
»Völlig ausgehungert!«
»Komm, setz dich. Ich werde dir etwas zu essen bringen lassen, und du kannst uns über alles informieren.« Sie eilte fort in die Küche.
»Was für eine entzückende Lady, nicht wahr?«, sagte Bruder Lazarus und sah zu, wie sie forthetzte.
»Du siehst selbst alles andere als schlecht aus«, meinte Kit. Er ging zum Tisch zurück und nahm wieder seinen Sitzplatz ein. »Ich kann nicht glauben, dass du all das getan hast. Ich glaube, ich habe dich möglicherweise unterschätzt, Bruder Lazarus.«
»Bitte nenn mich Gianni«, erwiderte der Priester. »Von jetzt an nur noch Gianni.«
»Neue Kleidung, neue Sprache, neuer Name«, bemerkte Kit. »Das leuchtet ein, schätze ich.«
Bald darauf kehrte Wilhelmina zurück; ihr folgte eine grün livrierte Serviererin, die ein Tablett mit Kaffee, Tassen und Teller voller kleiner Wurst- und Käsebrote brachte. »Lasst es euch schmecken«, sagte Mina und setzte sich zu ihnen. »Ich überlege, nachmittags Appetithappen anzubieten. Nehmt ein paar und sagt mir, was ihr davon haltet.« Sie reichte die Teller herum, während die Serviererin Kaffee einschenkte. »Vielen Dank, Margareta«, sagte sie auf Deutsch und schickte das Mädchen weg, damit es seinen weiteren Aufgaben nachging. »Nun denn, Bruder Lazarus, ich möchte alles über deine Abenteuer in Rom hören.«
»Er heißt jetzt Gianni«, erklärte Kit ihr.
»Tatsächlich? Was du nicht sagst.«
»Bitte, es war der Kosename meiner Mutter für mich«, erläuterte der Priester mit einem Lächeln. »So wurde ich von meiner Familie und meinen Freunden genannt, als ich noch ein Junge war.«
»Also Gianni«, willigte Mina ein. »Ich mag den Namen, aber warum die Änderung? Und weshalb jetzt?«
Der Priester winkte leichthin mit einer Hand. »Bruder Lazarus war alt geworden und in seinen Gewohnheiten festgefahren. Er hatte seinen nützlichen Zweck erfüllt, und es war an der Zeit, ihm seine wohlverdiente Ruhe zu gönnen.« Gianni hielt inne und wurde nachdenklich.
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