DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
dem da erkennen?«, fragte er, während er über ihre Schulter auf etwas spähte, das wie eine geöffnete, aus Messing hergestellte Muschelschale aussah.
»Nicht viel bislang. Meine Ausrüstung ist nicht gerade auf dem neuesten Stand der Technik.«
Cass hatte ein sauberes weißes Taschentuch auf dem Tisch ausgebreitet, wo die Hälften der erloschenen Ley-Lampe einen ziemlich einfachen internen Mechanismus enthüllten – einen in der Tat überraschend einfachen. Die Eingeweide des Dings schienen fast ausschließlich aus einer einzigen großen Kammer zu bestehen, die die aktivierende Substanz mit kleineren einzelnen Kanälen enthielt, die sich zu den Löchern in der Schale ausbreiteten, aus denen das Licht strahlte. Es gab zwei oder drei andere, viel kleinere abgegrenzte Bereiche – dies genau zu bestimmen war schwierig aufgrund der Schmelze, die sich während des Stromstoßes zugetragen hatte – ebenso wie die Überreste eines Mechanismus, der eine Feder, ein paar Leitbleche und Kanäle sowie etwas enthielt, das wie ein winziger Blasebalg oder wie eine Membran aussah.
»Erzähl mir noch einmal, wie diese Schmelze passiert ist«, bat Cass. Sie benutzte eine große, gebogene Polsternadel mit abgeflachter Spitze, um vorsichtig auf ein Kügelchen aus geschmolzenem Material in der Hauptkammer einzustochern, und schabte die verkohlten schwarzen Überbleibsel zu einem ordentlichen kleinen Haufen zusammen.
»Wir waren in dem Steinzeit-Land, von dem ich dir erzählt habe«, begann Kit. »Ich wollte Mina und Bruder Lazarus das Knochenhaus zeigen, aber stattdessen –«
»Das Knochenhaus«, murmelte Cass, die den Kopf reckte, um ihn anzusehen. »Es klingt so … so paläolithisch. Beschreibe es mir.«
»Nun, es war mitten im Winter. Eines Tages luden einige der jüngeren Männer des Fluss-Stadt-Clans mich ein, mit ihnen in den Wald hinauszugehen, wo sie diese erstaunliche kleine Hütte bauten: so was Ähnliches wie ein Iglu, aber vollständig angefertigt aus den Knochen von all diesen Kreaturen – Bisons und Nashörnern und Mammuts und Elchen, einfach von allen. Die Knochen wurden von einem Haufen am Fuße einer Klippe gesammelt …«
»Eine Tötungszone«, mutmaßte Cass. »Einige Indianerstämme sind dafür bekannt gewesen, dass sie das Gleiche getan haben – Tiere über eine Klippe treiben. Es ist eine sehr effiziente Methode, um an Fleisch zu kommen.«
Kit nickte. »Wir zogen also all diese Knochen und Geweihe und Schädel und Dinge von dem Haufen und schleppten sie zu einer Lichtung tief in den Wäldern. Ich wusste es damals nicht, aber sie errichteten diese kleine Hütte direkt oben auf einem Ley-Portal. Der Alte – sicherlich habe ich ihn erwähnt, oder? Der Clan-Häuptling? En-Ul hieß er; und als das Knochenhaus fertiggestellt war, kroch er hinein und verfiel in irgendeine Art von schlafender Trance oder tiefer Meditation – oder ich weiß nicht, was. Traumzeit nannte er das.«
»Faszinierend.« Cass glich sich mit ihrem Gesichtsausdruck Kits ehrfürchtiger Miene an. »Du musst mich unbedingt mitnehmen, damit ich diesen Ort sehe. Du hast es versprochen, erinnerst du dich?«
»Klar, doch da gibt es nur eine kleine Sache«, gab Kit zu bedenken. »Als ich Mina und Gianni zu der Lichtung im Wald brachte, war das Knochenhaus verschwunden. Stattdessen fanden wir diesen riesigen Eibenbaum – mindestens tausend Jahre alt, vielleicht sogar noch älter. Das ist das Problem.«
»Eine Eibe, was?« Cass kehrte wieder zu ihrer Tätigkeit zurück, mit der Nadel auf die schwarze, rußige Asche einzustochern.
»Ja, ein absolut gigantischer Eibenbaum«, sagte Kit. »Warum?«
»Nun, du weißt, Eibenbäume werden mit Unsterblichkeit und Ewigkeit verbunden – was zufällig auch das Thema dieser großen Suche ist, worüber jeder ständig redet.« Sie blickte Kit an. »Wusstest du das nicht? Viele sehr alte Kulturen betrachteten die Eibe als einen heiligen Baum – wahrscheinlich weil diese Pflanzen so fantastisch langlebig sind. Die Menschen dachten, dass Eibenbäume ewig leben würden, und so wurden sie ein Symbol des immerwährenden Lebens. Das ist auch der Grund, warum man sie so häufig auf Friedhöfen gepflanzt sieht.« Sie zuckte ein kleines bisschen mit den Schultern. »Es ist ein interessanter Zufall – dies alles.«
»Cassandra, meine Teure«, sagte Kit, der den altmodischen, erhabenen Tonfall seines kürzlich verstorbenen Urgroßvaters nachahmte, »wir sollten alle mittlerweile bestens wissen, dass es so
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