Du bist das Boese
fast für schnell? Er blätterte auf die letzte Seite des Kalenders. Zwei Nummern standen da, eine von Cabots Festnetzanschluss, die andere vom Handy. Er erkannte die Vorwahl von San Francisco. Neun Stunden Zeitverschiebung. In Rom war es acht Uhr abends, in Kalifornien Vormittag.
Cabot antwortete mit schläfriger Stimme, aber er war ein aufgeweckter Kerl und brauchte nicht lange, um zu kapieren, wer am Apparat war. Auch weil sogar die Zeitungen in Kalifornien über Balistreri und die Toten vom 4. Januar berichtet hatten.
»I am very sorry for your guy, he was a good man.«
»Thanks Mr Cabot. I need just one information from you. In your conversation with Coppola you describe the driver and the motorcycle, but Coppola has translated this in Italian. Can you repeat it to me?«
Etwas verlegen schilderte Cabot das sprachliche Missverständnis mit der Prostituierten und dem Schwulen, und Balistreri konnte sich ein heimliches Lächeln nicht verkneifen.
»Why did you say queer?«, fragte er.
»I was thinking of the motorcycle, not the driver. You know, I love motorcycles, I have a collection of them.«
Ein Experte, also gründeten die Adjektive auf etwas Realem, nicht auf einem bloßen Eindruck.
»You said the motorcycle was big, easy and speedy.«
»It was easy and speedy, but certainly not big. Probably I said great.«
Great, großartig, und Coppola hatte das mit »groß« übersetzt. Und queer, seltsam.
Die Wahrheit begriff er, kurz bevor Cabots Stimme sie vom anderen Ende der Welt übermittelte.
»You know, it’s a model for motocross, strange to see it in the center of a city.«
Auf der Terrasse kam eine abendliche Brise auf. Genau wie an den Abenden der vergangenen Monate. Und doch ganz anders.
»Linda, du hast mich mal gefragt, wann Alina Hagi gestorben ist …« Diese Frage rutschte ihm heraus, ohne dass er darüber nachgedacht hätte, reine Assoziation.
Linda rührte sich nicht. Es war, als müsse sie eine Entscheidung treffen. Sie heftete ihren Blick starr auf die Kuppel des Petersdoms, die jetzt zu leuchten begann. Und da war auch wieder die vertikale Falte auf ihrer Stirn.
Balistreri erinnerte sich an die beiden Fragen, die sie ihm am Ende ihres ersten gemeinsamen Abendessens gestellt hatte. Und der vierte Mann? Was, wenn er noch ein Mädchen einritzt?
Er konnte ihr Schweigen nicht länger ertragen. Sein Ton wurde eindringlich.
»Wer hat dir von der Einritzung erzählt?«
»Niemand, Michele.«
»Ich glaube dir nicht mehr.«
Sie streichelte seine Hand. »Finde den Mörder von Nadia und Samantha. Dann findest du auch den Mörder von Coppola.«
Wütend zog er die Hand weg. »Du willst mir nicht helfen. Aber ich werde ihn finden und ihn in den Knast stecken.«
Sie sog diesen Satz in sich auf, als wäre er eine Bestätigung dessen, was sie längst wusste. Und sie traf eine Entscheidung. Sie stand auf, ging hinein und holte eine dicke Mappe voller Zeitungsausschnitte aus einer Schublade.
Balistreri folgte ihr, leicht verunsichert. Sie reichte ihm die Mappe, ohne ein Wort zu sagen. Auf dem Deckel stand: »Wenn du wieder gesund bist.«
Nun war er wieder gesund und konnte tun, was er wollte. Ohne sie allerdings, so lautete die Botschaft.
»Ich bin nicht gesund, Linda.«
Sie schüttelte den Kopf, während er schon auf dem Weg nach draußen war. »Diese Krankheit kannst nur du selbst heilen.«
Als er zu Fuß nach Hause ging, dachte er an ihre Umarmung im Krankenhaus, an die Monate, die sie gemeinsam verbracht hatten, an den Abend, als er sie eigentlich küssen wollte und sie mit dem Kopf an seiner Schulter einschlief, an das Motoröl ihres Mopeds zwischen seinen Fingern.
Kein Traum ohne Erwachen. Keine Freiheit ohne Wahrheit.
Antonio Pasquali gönnte sich ein paar Tage Erholung in Tesano, dem Dorf, in dem er aufgewachsen war. Er plauderte gerade mit seiner Frau, als das Handy mit der Geheimnummer ein kurzes Brummen von sich gab. Mit einem Lächeln entschuldigte er sich und ging nach draußen ins Freie. Ihm schauderte ein wenig, als er diese Stimme hörte.
»Ihr Freund hat zwei merkwürdige Telefonate geführt. Es könnte sein, dass es wieder Probleme gibt.«
Sie hatten ihn hereingelegt. Nicht im Traum wäre ihm in den Sinn gekommen, dass man ihn in eine so schmutzige Angelegenheit hineinziehen könnte. Seinem Land hatte er dienen wollen, als er ihnen geholfen hatte, einen postkommunistischen Bürgermeister zu stürzen, denn er war der Überzeugung, dass die Kommunisten sich nie ändern
Weitere Kostenlose Bücher