Du bist das Boese
Dezember mit jemandem im Clubraum gesehen hatte.
Wem gehört die ENT ?
Sie beschlossen, die Antwort auf die letzte Frage und die nach den Auftraggebern der Erpressung von Augusto De Rossi nicht aufzuschreiben. »Geheimdienst« wäre als Antwort ohnehin unzureichend gewesen. Die Frage war, wer dahintersteckte.
»Donnerwetter«, sagte Corvu mit Blick auf die Tafel. »Dafür, dass wir noch so wenig wissen, grenzt es fast an ein Wunder, dass überhaupt schon ein paar Täter im Gefängnis sitzen.«
»Vorausgesetzt, es sind die Täter«, korrigierte Balistreri ihn. »Jedenfalls hätte ich da noch zwei weitere Fragen, die du aber besser nicht aufschreibst.«
»Warum nicht?«
»Sagen wir, aus Aberglauben. Die erste lautet: Wo war Adrians Motorrad am Nachmittag des 24. Dezember, als er im Casilino 900 war?«
Corvu schaute ihn verständnislos an und blätterte dann in den Vernehmungsprotokollen. »Was soll das heißen?«
»Na ja, das soll heißen, dass wir mindestens zwei Dinge nicht wissen. Und ich möchte, dass du dich um diese Fragen kümmerst. Wo war das Motorrad am 23. Dezember, als Camarà umgebracht wurde? Und wo war es am 24. Dezember, als Nadia entführt und getötet wurde?«
»Ich verstehe immer noch nicht. Was hat Adrians Motorrad mit dem Bella Blu zu tun? Adrian hat doch eine Motocross-Maschine.«
Balistreri berichtete ihm von den Telefonaten mit Carmen und Cabot. Corvu runzelte erneut die Stirn. Eine zweite Verbindung zwischen Nadia und dem Bella Blu. Das Bella Blu war gleichbedeutend mit der ENT . Und die ENT war gleichbedeutend mit großen Problemen, Balistreri selbst hatte ihm das eingeschärft.
»Und die zweite Frage, Dottore?«, fragte er, nun sichtlich besorgt.
»In dieser Geschichte gibt es zu viele Unsichtbare. Und der mit dem Motorrad ist am leichtesten zu finden.«
»Gut. Was soll ich tun?«
»Sorg dafür, dass wir Antworten auf unsere Fragen bekommen. Außer auf die zur ENT und zu Alina Hagi, darum kümmere ich mich selbst. Und schick Margherita zu mir rein.«
Corvu schaute sich verlegen um. »Als Sie gestern in Neapel waren, hat sie mich gefragt, ob sie sich den Rest der Woche freinehmen kann.«
»Ganz plötzlich, einfach so?«, fragte Balistreri.
»Ja, das war wohl ein spontaner Entschluss. Vielleicht ist sie mit Angelo weggefahren, keine Ahnung …«
Nachmittag
Diese ständigen blutigen Verluste waren schlimmer als Krieg, doch außer den Angehörigen der Opfer kümmerte sich niemand groß darum. Alle sagten, die Mopeds seien Roms Rettung, weil der Verkehr sonst schon vor zwanzig Jahren zusammengebrochen wäre. Man hätte den Stadtkern in eine Fußgängerzone verwandeln können, aber das wollten die Geschäftsleute nicht. Man hätte die unzähligen Büros der Verwaltung in die Außenbezirke verlegen können, aber das wollten die Angehörigen des öffentlichen Dienstes nicht. Man hätte wenigstens die Straßen besser in Schuss halten und die Pflastersteine, von denen die Mopeds wie Kegel umgehauen wurden, durch Asphalt ersetzen können. Aber das wollten die Denkmalschützer nicht. Und so kam es zu immer weiteren blutigen Verlusten.
Alina Hagi war nur ein Opfer von vielen. Das Protokoll über einen Mopedunfall, in dem eine junge Frau von zwanzig Jahren ums Leben kommt, war in Rom reine Routine. Und obwohl das Protokoll ihres Unfalls sehr viel detaillierter war als die meisten anderen, vielleicht wegen der Anzeige von Monsignor Lato, lag nicht einmal ein Foto des Opfers bei. Geschehen war es an einem regnerischen Abend im Januar 1983, nach zweiundzwanzig Uhr. Zahlreiche Zeugen hatten beobachtet, wie sie mit hoher Geschwindigkeit ums Kolosseum fuhr, zwischen den Pflastersteinen in einem Loch hängen blieb, ins Schleudern geriet und gegen eine Platane katapultiert wurde. Sie trug keinen Helm, was damals auch noch nicht Pflicht war. Niemand hatte sie geschnitten, nichts.
Er las noch einmal die später wieder zurückgezogene Anzeige von Monsignor Lato. Der hatte behauptet, einige Tage zuvor seien Alinas Arme von blauen Flecken übersät gewesen, das habe ihm nach der Beerdigung eine Freundin von Alina erzählt. Das stand jedoch in keinerlei Zusammenhang mit dem Unfall, und einen Monat später hatte Monsignor Lato die Anzeige zurückgezogen.
Viel mehr beschäftigte ihn die Frage von Linda Nardi. Wann starb Alina?
Der Kreisverkehr am Kolosseum ließ darauf schließen, dass Alina von zu Hause kam und irgendwohin wollte. Nach zehn Uhr, im Dunkeln, an einem regnerischen Januarabend, auf dem
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