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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Costantini
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EVIL .
    Er öffnete sämtliche Schubladen, dann sah er im Schrank unter den Pullis nach. Es war alles da. Der fehlende Ohrring von Elisa Sordi, die Bluse mit den Initialen S.R., der an den Ellbogen aufgescheuerte Pulli von Nadia, die Streberbrille von Selina Belhrouz, die blinzelnde Armbanduhr von Ornella Corona.
    Sie fotografierten alles, ohne etwas anzufassen.
    In einer Schublade fand er unter der Unterwäsche ein zerknittertes Blatt Papier. Eine gut gemachte Bleistiftzeichnung. Das Motiv kannte Balistreri, es war der Blick von der Terrasse hinunter. Auf der Zeichnung sah man ein Fenster und eine verwelkte Blume. Darunter stand ein Text, der wohl erst kürzlich mit einem anderen Stift hinzugefügt worden war. Balistreri erkannte Manfredis Schrift.
    Hätte ich auch weiter getötet, wenn es beim ersten Mal, mit Linda, anders gelaufen wäre? Anfangs habe ich mich das oft gefragt. Nach all den Jahren weiß ich nicht einmal mehr, wie viele es waren, und die Frage, die sich mir nun stellt, ist eine andere: Wäre ich ein besserer Mensch, wenn ich nur die eine getötet hätte, in einem einzigen Anfall von Wahnsinn?
    Balistreri faltete das Blatt sorgfältig zusammen und steckte es ein.
    Nachmittag
    Das Staatsbegräbnis von Pasquali fand in einer Kirche in der Altstadt statt, in Anwesenheit des Präsidenten der Republik, des Premierministers sowie zahlreicher Minister, Politiker, Funktionäre und Polizisten. Hunderte von Bürgern drängten sich vor dem Kirchenportal und auf dem Platz davor, zusammen mit den Übertragungswagen der Fernsehsender.
    Nach der öffentlichen Zeremonie wurde der Sarg für das private Begräbnis zum Friedhof Campo Verano getragen. Pasqualis Frau hatte veranlasst, dass die Messe in der Friedhofskapelle im kleinen Kreis zelebriert wurde, nur mit den engsten Mitarbeitern, den Freunden und den Verwandten aus dem Dorf in den Abruzzen, in dem ihr Mann geboren und aufgewachsen war.
    Balistreri ging als Letzter hinein, blieb in der Nähe des Ausgangs und genoss den Weihrauchduft und die angenehme Kühle, da es draußen fast vierzig Grad hatte und feuchtschwül war. Er folgte der Messe im Stehen, allein. Corvu, Piccolo und die anderen saßen ein paar Bänke weiter vorne.
    Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe.
    Die Stimme des Priesters riss ihn aus seinen Gedanken.
    Die Zeremonie verlief rasch und still.
    Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.
    Die Worte, gegen die er 1970 rebelliert hatte. Die Worte, die ihn allmählich wie eine Nemesis durchdrangen und sein Leben lang lähmten.
    Plötzlich stand Conte Tommaso dei Banchi di Aglieno neben ihm. Er schlug sich nicht an die Brust, aber immerhin hatte er die Verabredung, um die Balistreri ihn gebeten hatte, akzeptiert.
    Da stand er nun, das Böse schlechthin, der alleinige Architekt des großen Plans. Der Mann, dessen Stimme Pasquali in Angst und Schrecken versetzt hatte, der Mann, der nicht einmal davor zurückgeschreckt war, das persönliche Elend seines Sohns zu instrumentalisieren und seinen politischen Intrigen zu unterwerfen, ein Mann, der über Leichen ging, nicht aus Habsucht, sondern einzig um der Macht willen, aus blinder und totaler Treue zu seinen Prinzipien.
    Nur ein einziges Mal hatte dieser Mann sich beugen müssen, vor der Ungewissheit nämlich, von wem Elisa Sordi getötet worden war, nachdem sein Sohn sie geschlagen, eingeritzt und bewusstlos in diesem Büro zurückgelassen hatte.
    Sie verließen die Kirche schweigend, ohne das Ende der Messe abzuwarten, und unternahmen unter der brennenden Sonne einen letzten Spaziergang über den Friedhof.
    Balistreri schwitzte. Der Conte aber war ordentlich gekämmt und tadellos gekleidet wie immer, und kein Tröpfchen Schweiß war auf seinem dunklen Anzug zu erkennen.
    Der Nachtflug aus Afrika in der Businessclass hatte ihn nicht ermüdet. Nur die Falten an seinen Augenwinkeln traten etwas deutlicher zutage.
    Ein Vater, der kürzlich seinen Sohn verloren hat. Seine Achillesferse. Und meine Lebensversicherung.
    »Ich habe nur wenige Minuten, Balistreri. Dann muss ich der Witwe meines teuren Freundes Pasquali mein Beileid aussprechen und den Innenminister treffen, der mir das seinige aussprechen möchte. Bevor ich nach Afrika zurückfliege, muss ich mich noch mit meinen Anwälten um die Rückführung von Manfredis Leichnam kümmern. Ich möchte nicht, dass er in Italien beigesetzt wird. Kenia ist seine Heimat.«
    Balistreri

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