Du bist das Boese
genug gewesen. Über ihm gab es jedoch jemanden, der noch viel schärfer schoss. Wenn eine angesehene italienische Journalistin in ihrer Wohnung nicht weit vom Petersdom vergewaltigt, gefoltert und umgebracht wurde, und wenn das Ganze so eingefädelt war, dass man den Mord anhand der fingierten Spuren, die Manfredi dort hinterlassen würde, den Roma in die Schuhe schieben konnte, dann würde die Stimmung in Italien schon kippen. Und wenn nicht, würde eben der Geheimdienst nachhelfen und dafür sorgen, dass man wahllos Zigeuner jagen und der Ruf nach »ethnischer Säuberung« laut werden würde. Eine schwere diplomatische Krise mit Rumänien wäre die Folge, außerdem starke Spannungen mit der Europäischen Union, die von der italienischen Regierung verlangen würde, dass jeder, der Roma und Rumänen attackierte, festgenommen und angezeigt werden würde.
An diesem Punkt befände sich die italienische Demokratie dann am Rande jenes Abgrunds, in den gewisse Kreise sie stürzen wollten. Wenn Italien nicht parierte, würde es aus Europa ausgeschlossen. Parierte es aber, würde die nervöse, aufgewiegelte Bevölkerung auf die Barrikaden steigen, um Regierung und Parlament zu stürzen. Und der Vatikan würde im Abseits stehen und schweigen.
In beiden Szenarien, daran bestand für den Chef der Sondereinheit kein Zweifel, würde sich eine starke Persönlichkeit mit tadellosem Leumund bereit erklären, das Land aus der Krise zu führen.
Balistreri kannte dieses Beharren auf guten Gründen und erlittenem Unrecht. Er wusste, dass die Akteure die Verteidigung ihrer Ehre als ein nicht hintergehbares Recht empfanden, mit dem sie über das Leben anderer Menschen verfügten, als wären sie Figuren auf einem Schachbrett. Balistreri kannte den Stil, denn in jungen Jahren war er genauso gewesen.
Ein Aspekt an Hagis und Manfredis Rachefeldzug blieb allerdings rätselhaft: Wer hatte Elisa Sordi wirklich getötet? In ihrer absurden und abwegigen Logik war Elisas Mörder der eigentliche Schuldige an ihrem ganzen Leid, und er durfte nicht ungestraft davonkommen. Hagi und Manfredi waren gestorben, ohne den Namen erfahren zu haben, den Balistreri flüchtig erahnt hatte, als er über Linda Nardi hergefallen war.
Jetzt, da ihm alles klar war, da er alle Antworten kannte, fragte er sich, was wohl der junge Balistreri an seiner Stelle getan hätte.
Genickschuss. Aber dann würden seine Komplizen ihn rächen, und ich kann meine Leute nicht bis in alle Ewigkeit beschützen. Sie würden nicht nur mich beseitigen, sondern auch Angelo, Linda, Alberto und seine Familie, Corvu, Piccolo, Mastroianni.
Er fragte sich, was der erwachsene Balistreri tun würde.
Ich zeige ihn an und verhafte ihn. Er bekommt einen ordentlichen Prozess und seine gerechte Strafe. Aber das Resultat wäre das gleiche. Oder schlimmer noch, denn bei dem Rückhalt, den er genießt, würde es schwer werden, ihn zu verurteilen.
Die ganze Nacht über zerbrach er sich den Kopf. Der Conte dachte wie er, nicht wie der Kardinal. Er würde nicht auf die göttliche Gerechtigkeit warten. Aber was hieß das?
Montag, 24. Juli 2006
Vormittag
Dass der Conte noch auf Reisen war, nutzte Balistreri, um im Morgengrauen unter dem Vorwand, sie müssten Manfredi identifizieren, seinen Privatsekretär, seine Hausangestellten und den Pförtner abholen zu lassen. Bevor sie ins Leichenschauhaus traten, wurden sie gebeten, sich aller metallischen Gegenstände zu entledigen, auch der Schlüssel.
»Haltet sie hier im Büro mit irgendwelchem Papierkram fest, bis ich zurück bin«, sagte Balistreri zu Piccolo und schnappte sich einen Zweitschlüssel zum Penthouse.
Er nahm Corvu und Mastroianni mit. Um halb acht kamen sie in der Via della Camilluccia an und verschafften sich ohne Schwierigkeiten Zutritt zur leeren Wohnung. Sie begaben sich gleich in Manfredis Zimmer, wo Teodori und er den Jungen 1982 befragt hatten. Seitdem hatte sich nichts verändert, abgesehen von dem Notebook, auf dem er jetzt arbeitete, einem neuen großen Spiegel im Bad und den Fenstern ohne Vorhänge.
An den Wänden hingen immer noch die Poster der Metal-Bands. Das eine, an das er sich erinnerte, hing in der dunklen Ecke, in die Manfredi sich damals während des aufreibenden Disputs mit Teodori und ihm zurückgezogen hatte.
Ein Mann mit Satansmaske und zehn kleine Frauenfiguren, die T-Shirts mit je einem Buchstaben darauf trugen, aus dem weißes Blut heraustropfte. Die zehn Buchstaben ergaben den Titel eines Albums: YOU ARE
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