Du bist das Boese
hatte sich auf dieses Gespräch vorbereitet, aber dieser Mann, der auch inmitten all der Gräber keine Spur von Anteilnahme oder Beklommenheit zeigte, war weit mehr als ein gewöhnlicher Feind.
Er ist das Böse schlechthin, nicht Hagi, nicht Manfredi.
Es war überflüssig, dem Conte zu erzählen, was alles geschehen war. Das wenige, das er nicht wusste, würde er in den nächsten Tagen erfahren. Es war auch überflüssig, ihm damit zu drohen, dass seine Telefonate mit Pasquali in einem armseligen Kalender notiert waren. Beweise gab es nicht, und der Conte würde ihn zerquetschen wie einen Wurm.
»Ich schlage Ihnen einen Pakt vor«, sagte Balistreri schließlich.
Der Conte hörte der Aufzählung der Indizien gegen Manfredi schweigend und mit geringem Interesse zu. Er schien kaum überrascht und noch weniger beunruhigt.
»Ich werde es so einrichten, dass niemand davon erfährt. Ihr Sohn wird im Gedächtnis aller der Wohltäter der Armen bleiben. Im Gegenzug möchte ich, dass Sie mir Ihr Wort geben, niemanden mehr zu ermorden oder ermorden zu lassen.«
Der Conte musterte ihn. Nicht wütend oder drohend, sondern mit der gleichen subtilen Herablassung wie 1982.
»Es ist eine Schande, was aus Ihnen geworden ist, Balistreri. Ich kenne Ihren Lebenslauf. Sie waren ein vielversprechender junger Mann, der sich gegen die Kräfte des Obskurantismus und der Korruption aufgelehnt hat. Damals hätte ich Gefallen an Ihnen gefunden. Wirklich schade, dass Sie Ihr Leben so vergeudet haben.«
»Liegt Ihnen nichts daran, dass Ihr Sohn als Wohltäter und nicht als Mörder in Erinnerung bleibt?«
Der Conte blieb zwischen den Gräbern stehen.
»Manfredi war kein Mörder, Balistreri. Er wurde dazu gemacht, durch die Vorurteile unserer westlichen Gesellschaft, die in bürgerlichem Hedonismus und katholischer Heuchelei gründet. Er war ein freundlicher, gebildeter, schüchterner Junge. Die Frauen haben ihn wegen seines Aussehens abgelehnt. Und Sie haben ihn aus demselben Grund eines Verbrechens beschuldigt, das er nicht begangen hat und dessen wahren Urheber wir heute noch nicht kennen. Später habe sogar ich, sein Vater, ihn manipuliert. Ich habe ihm Marius Hagi vorgestellt und die Rachegelüste der beiden für meine Pläne benutzt.«
»Manfredi wusste nicht, dass Hagi und Ajello die Leiche von Elisa Sordi weggebracht, verunstaltet und in den Tiber geworfen haben?«
»Er hatte keine Ahnung. Er kannte weder Hagi noch Ajello. Von meinem Bruder in Afrika erfuhr ich allerdings, dass Manfredi nicht aufhörte mit dem Töten und Einritzen. Da begriff ich, dass mein Sohn eine Krankheit hatte, an der er keine Schuld trug. Vor einem Jahr teilte Hagi mir dann mit, dass er Lungenkrebs habe und vor seinem Tod noch Anna Rossi umbringen werde. Damals war Manfredi gerade in Rom. Wir unterhielten uns zu dritt darüber, auf der Terrasse, eine ganze Nacht lang. Und wir kamen überein, dass es wirkungsvoller sei, Samantha Rossi zu töten. Aber alles hat einen Ursprung, Balistreri, und Sie haben einen entscheidenden Anteil daran.«
Der Conte deutete auf drei benachbarte Grabsteine. Balistreri drehte sich um und erstarrte.
Das mittlere war das Grab von Elisa Sordi. Rechts und links davon lagen Amedeo und Giovanna.
»Sehen Sie, Balistreri. Da unten ruht die einzige Sache, die sich mir immer entzogen hat. Die Wahrheit, der Name von Elisas wahrem Mörder. Graben Sie sie aus. Dann werde ich Ihren Pakt respektieren, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«
Der Conte sah ihm einen Moment in die Augen, dann kehrte er ihm den Rücken zu und ging.
Balistreri betrachtete die drei Gräber. Es war sehr heiß, doch auf allen dreien standen frische Blumen.
Montag, 31. Juli 2006
Das Gebot der Stunde lautete »Ruhe einkehren lassen«. Zentralregierung und Kommunalausschuss, Opposition, Vatikan, Geheimdienst, Polizei – alle waren sie der Meinung, dass man nur warten müsse, bis sich der Staub ganz von selbst auf den alten Möbeln der Erinnerung absetzte.
Der blutige Juli überschwemmte nur für ein paar Tage die Medien im In- und Ausland. Im Übrigen erfuhr die Presse nie die Wahrheit, was auch weder notwendig noch klug gewesen wäre. Sie bekam nur die Fakten, die Politik und Heiliger Stuhl ihr zugestanden. Marius Hagi, ein geistesgestörter Einwanderer aus Rumänien, und seine Bande hatten gemeinsam mit einem italienischen Nachtlokalbesitzer, dem Avvocato Francesco Ajello, vier junge Frauen und vier tapfere Vertreter der Ordnungskräfte ermordet: Coppola, Tatò,
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