Du bist in meiner Hand
allem, was sie gesehen hat, überhaupt noch heiraten will?
»Wie geht es Ahalya?«, fragte er, nachdem er sie zur Begrüßung in den Arm genommen hatte.
Sita strahlte. »Sie war unglaublich stark, und das Baby ist gesund. Kommt und seht es euch an.«
In dem Moment tauchte auch Schwester Ruth wieder auf und winkte sie hinein. Der Entbindungsraum war mit mehreren Betten, einem großen Waschbecken und einem Rollwagen mit medizinischen Geräten ausgestattet. Ahalya hatte sich aufgesetzt. Ein paar Kissen stützten ihren Kopf. Das Baby lag ruhig in ihren Armen, und zwei Krankenschwestern kümmerten sich um sie. Sita eilte an die Seite ihrer Schwester und nahm ihre Hand.
»Danke, dass ihr gekommen seid«, sagte Ahalya, als Thomas und Priya ebenfalls neben ihr Bett traten.
»Das konnten wir uns doch nicht entgehen lassen«, antwortete Thomas. »Hast du schon einen Namen für die Kleine?«
Ahalya lächelte. Auf einmal wirkte sie gar nicht mehr so erschöpft. »Sie ist Kamalini, meine kleine Lotusblume.«
Thomas erwiderte ihr Lächeln. »Auf dem Weg hierher haben wir deine Blüte gesehen.«
»Sie ist eine Wiedergeburt«, erklärte Ahalya sehr entschieden, »ein Neuanfang.«
Die Leidenschaft in ihrer Stimme überraschte Thomas. Monatelang hatte sie ihre Schwangerschaft eher als eine lästige Nebensache behandelt, als eine Bürde, die sie tragen musste. Thomas hatte ihre zwiespältige Einstellung zu dem Baby, nach allem, was sie durchgemacht hatte, gut nachvollziehen können. Während dann das kleine Mädchen in ihrem Schoß zunehmend Gestalt angenommen hatte, waren ihm zwar kleine Veränderungen an Ahalyas Einstellung dazu aufgefallen, aber dass sie das Kind schließlich von ganzem Herzen annehmen würde, hätte er nie erwartet. Als er sie nun aufmerksam betrachtete, begann er zu begreifen: Vor die Wahl gestellt zwischen Verbitterung und Liebe, hatte Ahalya sich für die Liebe entschieden. Auf diese Weise war es ihr gelungen, in ihrem Kind nicht mehr die Teufelsbrut eines Vergewaltigers zu sehen, sondern Kamalini als jüngstes Mitglied der Familie Ghai willkommen zu heißen.
»Möchtest du sie halten?«, wandte Ahalya sich an Priya.
»Darf ich denn?«
Nur Thomas registrierte das leichte Zittern in ihrer Stimme. Das letzte Kind, das sie im Arm gehalten hatte, war die leblose Mohini gewesen.
Eine der Krankenschwestern wickelte das kleine Mädchen in eine Windel und übergab es dann an Priya, der vor Rührung sofort Tränen übers Gesicht liefen, während sie es zärtlich hin und her wiegte. Nach einer Weile fing sie an, dem Baby das Schlaflied vorzusingen, das sie als Mädchen von ihrer Mutter gelernt hatte. Dieses Lied hatte sie auch Mohini am Tag ihrer Geburt vorgesungen.
Kann es sein, mein Liebling,
dass du des Halbmonds Sichel bist?
Die schöne Lotusblüte?
Der Honig in den Blumen?
Das leuchtende Licht des Vollmonds?
Sie reichte das Baby an Ahalya zurück. »Sie ist wunderschön. Sie sieht genau aus wie du.«
Ahalya lächelte. »Habt ihr denn auch schon einen Namen für euer Baby?«
»Wir haben auf der Herfahrt gerade darüber gesprochen«, antwortete Thomas.
Priya berührte ihn an der Schulter und sah die Mädchen an. »Ich glaube, wir haben einen. Wenn es euch recht ist, würden wir unsere Tochter gern Sita nennen.«
Thomas stockte für einen Moment der Atem, dann nickte er begeistert. Der Gedanke war ihm nie gekommen, aber im Grunde gab es keinen passenderen Namen.
»Das ist ein guter Name«, antwortete Ahalya mit glänzenden Augen. »Was meinst du?«, wandte sie sich an ihre Schwester.
Sita begann zu lachen. Einen Moment später stimmte Thomas ein, und dann folgten Priya und Ahalya. Am Ende lachten sogar die Krankenschwestern, auch wenn sie gar nicht recht wussten, warum.
»Ich habe mir schon immer eine kleine Schwester ge wünscht«, erklärte Sita, während sie nach Priyas Hand griff, »und nun bekomme ich gleich zwei.«
ANMERKUNG DES AUTORS
Du bist in meiner Hand ist ein fiktives Werk, der Handel mit Menschen jedoch nur allzu real. Es handelt sich dabei um ein kriminelles Geschäft, von dem nahezu jedes Land der Welt betroffen ist und das jährlich mehr als dreißig Milliarden Dollar Gewinn erzielt und Millionen von Männern, Frauen und Kindern in Zwangsprostitution und Sklavenarbeit verstrickt. Trotzdem bleibt dieses Geschäft aufgrund der Tatsache, dass es sich im Verborgenen abspielt, oft rätselhaft und unverstanden. Beim Schreiben des vorliegenden Buches habe ich mich viel auf
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