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Du bist nie allein

Du bist nie allein

Titel: Du bist nie allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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auch seine Mutter versuchten ihm aus dem Weg zu gehen und sich möglichst unauffällig zu verhalten. Von der Küche aus hörte Richard, wie sein Vater vor sich hin schimpfte, während im Fernsehen ein Footballspiel lief. Er hatte auf seine Lieblingsmannschaft gesetzt – die Patriots –, aber sie hatte verloren. Deshalb polterte er zornig durch den Flur. Kurz darauf kam er mit dem Fotoapparat in die Küche und stellte ihn auf den Tisch. In der anderen Hand hielt er einen Hammer. Als er sicher sein konnte, dass sein Sohn auch wirklich hinsah, zertrümmerte er den Apparat mit einem einzigen Schlag.
    »Ich schufte die ganze Woche, um Geld zu verdienen, und
du wirfst es einfach zum Fenster raus!
Wenigstens das Problem haben wir von jetzt an nicht mehr!«
    Einige Monate später starb sein Vater. Auch an jenen Tag erinnerte sich Richard lebhaft: der Küchentisch im grellen Schein der Morgensonne, der leere Gesichtsausdruck seiner Mutter, das stetige Tropfen des Wasserhahns, die langsam verrinnenden Stunden. Polizisten gingen ein und aus, sie unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Der Leichenbeschauer untersuchte den Toten und ließ ihn abtransportieren.
    Und dann das Geheule seiner Mutter, als sie endlich allein waren. »Was sollen wir ohne ihn nur tun?«, schluchzte sie und schüttelte Richard an den Schultern. »Wie konnte das geschehen?«
    Sein Vater war im O’Brien’s gewesen, einer schäbigen Kneipe gleich um die Ecke. Nach Aussage anderer Gäste hatte er eine Partie Billard gespielt und verloren und dann den restlichen Abend über an der Theke gehockt und Unmengen Bier mit Whisky getrunken. Zwei Monate zuvor war er von seiner Firma an die Luft gesetzt worden und seitdem fast jeden Abend hergekommen.
    Zu der Zeit prügelte er Frau und Sohn bereits regelmäßig, und am Vorabend war er besonders brutal gewesen.
    Kurz nach zehn hatte er die Kneipe verlassen, sich noch Zigaretten am Kiosk an der Ecke besorgt und war dann nach Hause gefahren. Ein Nachbar, der gerade seinen Hund ausführte, hatte gesehen, wie er zurückkam. Die Garage war noch offen, und Vernon fuhr mit dem Wagen direkt hinein. An beiden Wänden waren Kartons aufgestapelt.
    Darüber, was im Anschluss geschah, konnten später alle nur spekulieren. Dass Vernon das Garagentor geschlossen hatte, stand außer Zweifel, das belegte die hohe Kohlenmonoxidkonzentration. Warum aber hatte er nicht erst den Motor abgestellt? Und wieso stieg er nach dem Schließen des Garagentors wieder ins Auto? Alles deutete auf Selbstmord hin, obwohl seine Kumpels aus dem O’Briens steif und fest behaupteten, so etwas hätte er nie getan. Er war ein Kämpfer, kein Feigling. Er hätte sich nie umgebracht.
    Zwei Tage später kamen die Polizeibeamten abermals ins Haus, stellten viele Fragen und suchten nach Antworten. Die Mutter jammerte zusammenhangloses Zeug, der Zehnjährige starrte sie stumm an. Die Prellungen in den Gesichtern von Mutter und Sohn changierten inzwischen ins Grünliche, was ihnen ein bemitleidenswertes Aussehen verlieh. Die Polizisten brachen unverrichteter Dinge wieder auf.
    Am Schluss wurde der Todesfall als Unfall deklariert.
    Ein Dutzend Leute wohnte der Beerdigung bei. Richards Mutter trug Schwarz und weinte in ein weißes Taschentuch, während er hilflos neben ihr stand. Drei Redner ergriffen am Grab das Wort, fanden freundliche Worte für einen Mann, der zuletzt in seinem Leben eine Pechsträhne gehabt habe, ansonsten aber ein guter Mensch gewesen sei, ein fleißiger Arbeiter, ein liebender Ehemann und Vater.
    Der Sohn spielte seine Rolle gut. Er hielt den Blick gesenkt. Ab und zu fuhr er sich mit dem Finger über die Wange, als müsse er eine Träne abwischen. Er legte den Arm um seine Mutter, und als die anderen ihnen ihr Beileid aussprachen, nickte er ernst und bedankte sich.
    Am nächsten Tag aber kehrte er allein zu dem frischen Grab zurück. Und dann spuckte er mitten darauf.
    In der Dunkelkammer heftete Richard eins der Fotos an die Wand. Die Vergangenheit wirft lange Schatten, dachte er. Er wusste, dass Julie nichts dazukonnte. Er hatte Verständnis. Er verzieh ihr, was sie getan hatte.
    Richard starrte auf das Bild. Wie könnte er ihr nicht verzeihen?

Kapitel 19
    W eil sie sich wegen Richard schon so früh fertig gemacht hatte, blieb Julie genug Zeit, um sich vor der Arbeit noch eine Zeitung zu besorgen. Dann setzte sie sich vor einem Bagel-Shop an einen Tisch auf dem Gehweg, trank Kaffee und las. Singer lag zu ihren Füßen.
    Nach einer

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