Du bist nie allein
nächsten Schlag von der Wand abprallte und genau im Becher landete. Sie stolzierte hinüber, um ihn zu holen.
»Wieso ist es bei mir immer Glück, wenn ich treffe, bei dir dagegen Geschick?«, begehrte sie auf.
Mike starrte immer noch dem Ball nach. »Weil es so ist! Du hast mit Sicherheit nicht gezielt geschlagen!«
»Du hörst dich an, als würdest du langsam nervös.«
»Ich werde nicht nervös.«
Sie äffte ihn nach, indem sie mit den Fingernägeln an ihrer Bluse entlangfuhr und schniefte. »Solltest du aber. Wie unangenehm, von einem Mädchen geschlagen zu werden!«
»Du wirst mich nicht schlagen.«
»Wie ist denn der Spielstand?«
Hastig ließ Mike die Karte und den Bleistift in seiner Gesäßtasche verschwinden. »Spielt keine Rolle. Es kommt nur auf den Endstand an.«
Kichernd folgte Julie Mike, der steif zum nächsten Loch weiterschritt.
Richard atmete langsamer und konzentrierte sich auf Julies Bild. Sie war etwas Besonderes, etwas Besseres, so wie er.
Dieses heimliche Wissen um seine Einzigartigkeit hatte ihn während der Odyssee von einer Pflegefamilie zur nächsten aufrecht gehalten. Von ein paar Kleidungsstükken abgesehen bestand seine einzige Habe aus dem Fotoapparat, den er von einem früheren Nachbarn gestohlen hatte, und dem Karton mit seinen Fotos.
Seine ersten Pflegeeltern schienen ganz nett zu sein, aber er ließ sich nicht weiter auf sie ein. Er kam und ging, wie es ihm passte, schließlich brauchte er nur einen Schlafplatz und ausreichend zu essen. Wie in vielen Pflegefamilien war er nicht das einzige Kind, er teilte sich das Zimmer mit zwei älteren Jungen. Die beiden stahlen ihm zwei Monate nach seinem Einzug den Fotoapparat und brachten ihn in ein Pfandhaus, um sich von dem Geld Zigaretten kaufen zu können.
Richard fand die beiden auf dem Grundstück neben dem Haus. Er hob einen Baseballschläger auf, der zufällig am Boden lag. Erst lachten sie, schließlich waren sie beide größer und stärker als er. Am Ende aber wurden sie mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht, so übel hatte er ihre Gesichter zugerichtet. Die Frau von der Fürsorge wollte Richard in eine Jugendstrafanstalt stecken. Sie war noch am selben Tag zusammen mit der Polizei ins Haus gekommen, nachdem seine Pflegeeltern ihn angezeigt hatten. Richard wurde in Handschellen aufs Revier gebracht. Dort saß er in einem kleinen Kabuff einem bulligen Polizisten namens Dugan gegenüber.
Dugan, pockennarbig und mit Knollennase, sprach mit seltsam krächzender Stimme. Er wies Richard darauf hin, wie schwer er die Jungen verletzt hatte und dass er die nächsten paar Jahre hinter Schloss und Riegel verbringen würde. Aber Richard hatte keine Angst, ebenso wenig wie damals, als die Polizei gekommen war, um ihn und seine Mutter über seinen Vater auszufragen. Genau damit hatte er gerechnet. Er hielt den Blick gesenkt und brach dann in Tränen aus.
»Ich wollte es nicht tun«, sagte er leise. »Aber die haben meinen Fotoapparat geklaut, und da hab ich gesagt, das würde ich der Fürsorge melden. Sie wollten mich umbringen. Ich hatte Angst. Einer von ihnen hat mich angegriffen – mit einem Messer.«
Worauf Richard seine Jacke öffnete, und Dugan das Blut sah.
Richard wurde ins Krankenhaus gebracht; er hatte eine Schnittwunde im Unterbauch. Die Wunde, behauptete Richard, war nur deshalb nicht tiefer, weil er sich im letzten Moment von den Jungen hatte losreißen können. Dugan fand das Messer auf dem Dach des Lagerhauses, genau dort, wohin es einer der Jungen nach Richards Aussage geworfen hatte.
Am Schluss landeten die beiden Jungen und nicht Richard in der Jugendstrafanstalt, all ihren Beteuerungen zum Trotz, das Messer nie angerührt, geschweige denn Richard damit verletzt zu haben. Aber der Inhaber des Pfandhauses bestätigte, ihnen den Apparat abgekauft zu haben, und so glaubte ihnen niemand.
Jahre später sah Richard einen der Jungen wieder. Er war zwar inzwischen ein erwachsener Mann, aber bei Richards Anblick erstarrte er. Richard lächelte nur und ging weiter, während er sich verächtlich der Schnittwunde erinnerte, die er sich so leicht selbst zugefügt hatte.
Richard öffnete die Augen. Ja, aus Erfahrung wusste er, dass
alle
Hindernisse bezwungen werden konnten. Julie brauchte nur den richtigen Menschen, der ihr half. Zusammen konnten sie alles erreichen, aber dazu bedurfte es ihrer Einwilligung. Sie musste das, was er ihr zu bieten hatte, nur annehmen.
War das zu viel verlangt?
»Wie steht es jetzt?«,
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