Du bist zu schnell
treffe ihn mit einer Handvoll Schnee ins Gesicht. Für eine Sekunde steht Theo überrascht da, dann jagt er mir hinterher, und wir seifen uns gegenseitig ein und gackern dabei wie kleine Kinder, die---
—Was ist? fragt Theo und schaut über die Schulter.
-Warte auf mich! rufe ich und laufe ihm hinterher. Dabei muß ich über meine Phantasie grinsen. Wo habe ich das her? Val spielt idyllisches Leben. Als nächstes werde ich Schneemänner bauen und vor Freude in die Hände klatschen.
-Was grinst du so? fragt Theo.
- Nichts, einfach nur so, sage ich.
Ich kann nicht sagen, daß ich irgend etwas bereue. Diese Fahrt hierher war das Beste, was mir passieren konnte. Ich weiß nicht, was mich morgen erwartet oder was mit Marek werden wird. Ich weiß nur, daß ich nichts falsch gemacht habe. Und das ist schon etwas, wenn man das so sagen kann. Dieser Ort und diese Zeit sind richtig. All das wird mir am Abend bewußt, an dem mir Theo zeigt, wo er Jenni beerdigt hat.
Wir stehen am Ufer des vereistenTümpels und gehen über das Eis. Zwanzig Meter in die eine Richtung, zwanzig in die andere.
- Irgendwo hier, sagt Theo und bleibt am Ufer stehen, Haben wir am Feuer gesessen und beschlossen, daß wir auf den Hof ziehen wollen. Sie wird für immer hier bleiben.
Ich schaue nach unten.
- Ich finde das romantisch, sage ich und zeichne ein Herz in den Schnee.
- Laß uns zurückgehen, sagt Theo und legt den Arm um mich.
Wir verlassen den Tümpel. Es ist ein gutes Gefühl, Theos Arm um mich herum zu spüren. Ich weiß, er wird nicht loslassen, egal was passiert, er paßt auf mich auf.
- Nein, warte.
Er zuckt zurück, ich bin so nervös, daß meine Beine zittern.
-Was ist? frage ich,
- Das ...
Theo berührt seinen Mund.
- ... geht mir zu schnell, das ist...
- ... nicht richtig? spreche ich für ihn weiter.
- So in etwa.
- Okay, es tut mir leid, ich wollte nicht...
Theo berührt mein Gesicht.
- Wir wissen nicht, was mit Marek ist, sagt er, ich will da keinen Mist bauen, indem ich... Du weißt schon. Ich bin nicht der Typ für so was, es wäre falsch.
- Ich sagte, es tut mir leid, wiederhole ich und trete einen Schritt zurück. Ich will nicht mehr von ihm berührt werden. Ich spüre, wie wütend ich bin. Meine Oberlippe schmerzt.
- Laß uns noch mal von vorne anfangen, schlage ich vor, Ich helfe dir aus dem Pullover und küß dich dabei nicht, okay?
Theo hebt die Arme, ich ziehe den Pullover hoch, und als ich ihn über seinem Kopf habe, gebe ich Theo einen Kuß auf die Wange.
- Und jetzt will ich lesen, sage ich und lasse ihn mit den Armen in der Luft stehen.
2
Wir haben uns die Betten vor dem Kamin gemacht. Isomatten und Schlafsack, jeder ein Kissen und dazu das Feuer. Theo verlegt bis kurz vor Mitternacht im ersten Stock Dielen, während ich lese und zwischendurch immer wieder wegnicke. Als er schließlich herunterkommt, habe ich ihm ein Sandwich gemacht. Er will vorher noch schnell unter die Dusche. Ich sitze auf dem Sofa und warte. Das Wasserrauschen verstummt, es gibt einen kurzen Moment der Ruhe, dann ruft Theo:
—Val, könntest du mir ein Handtuch bringen?
- Wo finde ich eins? rufe ich zurück, ohne mich vom Sofa zu bewegen. Ich habe ihm schon ein Handtuch rausgesucht.
- Irgendwo im Erdgeschoß. In einem der Kartons.
Ich laufe einmal um das Sofa herum und nehme dann Kurs aufs Bad.
- Hier.
Theo steht nackt und frierend vor mir. Ich kann die Gänsehaut auf seinen Armen und Beinen sehen. Sein Penis ist geschrumpft und verschwindet beinahe in sich selbst. Im Bad gibt es keinen Heizstrahler, der Spiegel ist beschlagen, die Wandfliesen naß.
- Es tut mir leid wegen vorhin, sage ich und bleibe im Türrahmen stehen, lache nervös, verschränke die Arme vor der Brust, Ich weiß, ich hätte das nicht tun sollen, aber es fühlte sich in dem Moment einfach richtig an.
Theo sieht mich kurz an, bevor er sich abwendet. Ich glaube, es ist ihm peinlich. Er dreht mir den Rücken zu, während er sich abtrocknet.
- Könntest du die Tür zumachen? fragt er, Es zieht.
Ich trete zurück und schließe die Tür. Was stimmt nicht? Ich spiele mit dem Gedanken, die obere Hälfte des Sandwichs aufzuklappen und draufzuspucken. Wie kann man nur so nachtragend sein? Zufällig sehe ich mich in der Spiegelung des Fensters und muß über mein Gesicht lachen, das zurückblickt, als wollte es in den Krieg ziehen. Ich blecke die
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