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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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beschließe, Jenni alles an ihrem Grab zu erzählen. Ich will, daß ihr jedes Detail bekannt ist; ganz besonders will ich, daß sie versteht, warum ich tue, was ich tue. Insgeheim hoffe ich auf ein Zeichen von ihr, daß jeder meiner Schritte bisher richtig war. Mir fehlt solch ein Zeichen.

3

    Es ist kurz nach neun. Draußen scheint sich ein Sturm zusammenzubrauen. In den oberen Stockwerken höre ich den Wind durch das Mauerwerk pfeifen. Ich kann nur hoffen, daß das Dach keine Macken hat. Mitte Januar wollte jemand kommen und es sich ansehen. Um die Abdichtung der Fenster will ich mich kümmern, sobald die Böden fertig sind.
    Ich habe mir etwas zu essen gemacht und den Schlafsack vor dem Kamin ausgebreitet. Val ist einmal kurz aufgestanden, um auf die Toilette zu gehen, und schläft wieder auf dem Sessel. Ich würde gerne wissen, was in ihr vorgeht und wie gut sie ihre Ängste kaschiert. Ihre Vorgeschichte mit der Psychose, die Bedrohung durch die Schnellen, dann Jennis Tod, die Fahrt zu mir, Zwischenstop in Hamburg und dann der Angriff im Schwimmbad. Wie packt sie das? Schon bei der Szene im Schwimmbad wäre ich völlig durchgedreht. Als ich ihr das sagte, winkte sie ab und meinte, es wären die Medikamente, die sie ruhig hielten, und natürlich Marek, der sie immer wieder auf den Boden zurückbrachte. Jetzt ist Marek nicht da, und jemand muß seine Stelle einnehmen. Falsch, jemand will.
    -He?
    Ich berühre ihren Fuß. Val blinzelt, sieht mich an.
    — Willst du auf dem Sessel bleiben? Das Sofa ist frei. Du kannst dich aber auch zu mir legen, hier unten ist es wärmer.
    Val befreit sich aus der Decke und kommt zu mir auf den Boden. Ich weiß, ich sollte das nicht tun, denn ich habe es mit Jenni getan. Auf den Schafsfellen vor dem Feuer. Die erste Nacht. Aber ich glaube, es ist richtig. Ich hoffe, es ist richtig. Und als sich Val an mich schmiegt und weiterschläft, bin ich mir sicher, daß ich keinen Fehler gemacht habe. Auch wenn meine Erektion gegen Vals Bauch drückt und mein Mund trocken ist, versuche ich, eine bequeme Lage zu finden und schließe die Augen.

    Jenni küßt mich. Ich spüre ihren Körper, wie er sich an mich drückt, ich soll sie halten, ich soll sie spüren. Ihr Atem füllt meinen Mund, ihre Hände sind überall. Das Gefühl von Haut auf Haut---
    Ich öffne die Augen und sehe graue Holzasche. Der Kamin hat seine Romantik verloren. Er ist verrußt und staubig. Ich spüre die Kälte auf dem Gesicht und den nackten Schultern. Die Außentemperatur muß stark gefallen sein, das Haus kühlt sonst nicht so schnell aus. Val liegt nicht mehr neben mir. Ich drehe mich um. Sie schläft eingemummt in ihre Decke auf dem Sofa.
    Ich stehe auf und reibe mir über die Arme. Pullover und Hose liegen auf dem Stuhl. Nachdem ich mich angezogen habe, spüre ich die Kälte richtig und beginne zu zittern. Erst jetzt fällt mir die Stille auf. Ein milchiges Licht fällt durch die Fenster. Ich versuche rauszusehen, das Fenster ist eingeschneit.
    In Stiefeln, mit hochgestelltem Mantelkragen und Schal um den Hals gehe ich zur Tür, ziehe sie auf und lache los. Es gibt kein Draußen mehr. Vor mir steht fest und unnachgiebig eine Schneewand. Ich drücke hier und da probeweise dagegen und versuche, ein Loch hineinzuhauen. Der Schnee gibt nach, als wäre er aus Knete.
    Auch der Ausgang zur Terrasse ist versperrt, dicht drückt der Schnee gegen das Glas und läßt nur wenig Licht herein. Nur auf der Seite, die zum Tümpel hinausgeht, sind die Fenster nicht zugeweht. Ich nehme den Weidenkorb, öffne eines der Fenster und steige raus.
    Draußen habe ich das Gefühl, ich könnte überall sein — Kanada, Sibirien, Alaska. Keine Straße und keine Häuser sind von hier aus zu erkennen. Nur weites, weißes Land.
    Ich gehe um das Haus, um mir die Vorderseite anzusehen. Der Wind muß aus dieser Richtung gekommen sein. Die Schneewehe reicht bis zum ersten Stock. Von der Haustür und den Fenstern im Erdgeschoß ist nichts zu sehen. Es sieht aus, als hätte jemand das Haus an eine Schneewehe gebaut. Ich hätte nie gedacht, daß so etwas möglich ist. Wenn ich wollte, könnte ich im ersten Stock mit einem Schlitten aus dem Fenster steigen und die Schneewehe herunterrodeln.
    Ich mache mich auf den Weg zum Schuppen, der ebenfalls von einer Seite nicht zu sehen ist, und hacke Holz. Später will ich einen Tunnel bis zur Haustür freischaufeln, bis dahin muß es reichen, das Holz durch das Fenster ins Haus zu bekommen. Bei meiner Rückkehr

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