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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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nahm Soleils Hand und hätte gern tröstend den Arm um sie gelegt,
wie man es bei einer guten Freundin macht, die Kummer hat, aber in Anbetracht
ihrer entblößten Schultern schien mir das irgendwie unpassend. So verharrte ich
einen Augenblick etwas merkwürdig gebeugt über ihr. Dann drückte ich
aufmunternd ihre Hand, bevor ich sie sanft aus der meinen entließ. »Tut mir
leid, daß ich mich nicht eher gemeldet habe. Ich komme morgen nachmittag,
versprochen. Und dann reden wir über alles.«
    Soleil nickte. Die Tatsache, daß ich mitten in der Nacht zu ihr
gefahren war, weil ich mir Sorgen gemacht hatte, schien sie mit großer
Befriedigung zu erfüllen.
    Â»Ich wußte, daß du mich nicht im Stich läßt«, sagte sie. Dann
schniefte sie ein wenig. »Ach, Jean-Luc! Es ist soviel passiert, ich bin so
durcheinander …«
    Hätte das irgend jemand auf diesem merkwürdigen Planeten besser
verstehen können als ich?
    Â»Alles wird gut«, erklärte ich voller Empathie und meinte damit auch
ein wenig mich selbst. »Und jetzt schläfst du ganz schnell weiter.«
    Soleil legte sich hin und zog gehorsam ihre dünne Decke über sich.
Ich strich ihr kurz über das Haar, dann richtete ich mich auf.
    Â»Danke, Jean-Luc, schlaf du auch ganz schnell weiter«, murmelte
sie. Lächelnd schlüpfte ich durch die Terrassentür. Es war zwanzig nach vier.
Nachdem ich in dieser Nacht noch kein Auge zugetan hatte, konnte von »weiter«
schlafen nun nicht die Rede sein. Wohl aber von »endlich« schlafen. Und davon
würde mich jetzt nichts mehr abhalten. Weder ein Erdbeben. Noch ein Freund in
Not. Noch die leibhaftige Principessa.
    Trotz meines nächtlichen Ausflugs wachte ich wenige Stunden
später erfrischt auf. Ich muß sagen, daß ich mich weitaus besser fühlte als am
Morgen zuvor. Vielleicht gewöhnte sich mein Körper bereits an den wenigen
Schlaf. Auch Napoleon war auf seinen Feldzügen mit schlappen fünf Stunden
ausgekommen, warum sollte das nicht auch bei mir klappen?
    Es
war alles eine Frage der Einstellung.
    Ich ertappte mich dabei, wie ich unter der Dusche sang – das hatte
ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan! » J’attendrais … «
schmetterte ich dem türkisfarbenen Duschvorhang mit den kleinen weißen Muscheln
entgegen, der sich mir entgegenwölbte wie das Meer, und wunderte mich über
meine gute Laune.
    Es war Samstagmorgen und ich hatte endlich Zeit!
    Ich hatte Marion angerufen und gebeten, einmal pünktlich zu
sein, die Galerie aufzuschließen und bis zum frühen Nachmittag in der Rue de
Seine die Stellung zu halten. Ich hatte Madame Vernier angerufen und sie
gebeten, Cézanne heute zu übernehmen (wenn ich meinen Hinterkopf betastete,
fand ich, daß sie mir diesen kleinen Gefallen schuldig war). Ich würde mir
gleich unten in der Boulangerie ein – nein zwei! – frische Croissants kaufen,
mich mit einem starken petit noir mit
viel Zucker an meinen Schreibtisch begeben, und dann … Und dann!
    Die
Aussicht, den Brief der Principessa zu beantworten und mit dieser sicherlich
ebenso geheimnisvollen wie schönen Unbekannten, die mir immerhin so viele
wunderbare Komplimente gemacht hatte, daß mein bester Freund mich beneidete –
die Aussicht, mit dieser Frau nun endlich in Kontakt zu treten, versetzte mich
in Hochstimmung.
    Allein – als ich eine Stunde später vor meinem kleinen weißen Laptop
saß und zum ersten Mal die E-Mail-Adresse der Principessa eingegeben hatte,
wußte ich nicht so recht, wie ich beginnen sollte.
    Betreff? Was sollte ich in die Zeile »Betreff« schreiben? Irgendwie
waren diese neumodischen Kategorien, die den Inhalt oder das Anliegen eines
Schreibens in möglichst einer Zeile zusammenfassen sollten, nicht geeignet für
Briefe aus einer anderen Zeit.
    Â»Ihr Brief vom Donnerstag«? Unmöglich! »Antwort auf Ihren Brief«?
Das klang wenig geistreich. »Für die Principessa«? Ja, für wen wohl sonst?
    Ich las noch einmal in dem Brief der Principessa, verlor mich in den
Zeilen, und dann fand ich ein Wort, das mir geeignet erschien.
    Betreff: Verführt!
    Zufrieden lehnte ich mich zurück, nahm einen Schluck Kaffee und
überlegte, ob ich den Brief mit » Werte Dame « (klang
nach älterem Fräulein), » Liebe Principessa « (zu
ruhig) oder » Liebste Principessa « (zu

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