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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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Mülltonnen,
Jean-Luc? Ich muß mich wundern …« Sie sah auf einige Müllreste, die bei meiner
Suche auf das Steinpflaster gefallen waren, und kicherte plötzlich. »Sie sind
doch wohl kein Clochard, der sich in den Containern sein Essen zusammensucht,
oder?«
    Ich schüttelte den Kopf, es tat verdammt weh. Die Nachbarin hatte
einen erstaunlich kräftigen Schlag.
    Â»Ich hab nur etwas gesucht, was ich versehentlich weggeworfen habe.«
Ich fand, daß ich ihr eine kleine Erklärung schuldig war.
    Â»Und – haben Sie es gefunden?«
    Ich nickte. Es war halb zwei, als wir den Ort des Grauens
verließen und Madame Vernier mir voranschwebte wie eine kleine weiße Wolke.
    Cèzanne, der sich auf seiner Decke im Flur zusammengerollt
hatte, begrüßte mich mit einem schläfrigen Schwanzwedeln, als ich von meinem
nächtlichen Abenteuer zurückkam. Er hatte es wohl aufgegeben, meinem etwas
durcheinandergeratenden Rhythmus von Tag und Nacht, Gassigehen und nicht
Gassigehen zu folgen. So wie es kam, kam es. Hundebuddhismus. Einen Augenblick
lang beneidete ich ihn um sein unkompliziertes Leben. Dann beugte ich mich über
meinen Schreibtisch, strich den zerknüllten Charlotte-Zettel glatt und legte
ihn neben den Principessa-Brief.
    Man
mußte kein Champollion sein, um zu erkennen, daß es sich um zwei völlig
unterschiedliche Handschriften handelte. Die eine eher steil, mit eckigen Unterlängen,
die andere nach rechts geneigt, mit runden, geschwungenen Buchstaben, bei denen
sich besonders das B, das C, das D und das P hervortaten. Charlotte war
definitiv nicht die Principessa.
    Die Erkenntnis senkte meinen Adrenalinspiegel augenblicklich und
ließ mich mit einem Mal furchtbar müde werden. Mein Kopf hämmerte, und ich
verwarf die Idee, der echten Principessa noch in dieser Nacht
zurückzuschreiben.
    Für einen ebenbürtigen Antwortbrief mußte ich frisch und im vollen
Besitz aller meiner geistigen und körperlichen Kräfte sein. Und die hatten in
den letzten Stunden erheblich gelitten.
    Ich wankte ins Bad und übereignete Charlottes Zettel endgültig dem
Papierkorb. Dann putzte ich mir die Zähne. Das war das äußerste, was ich heute
noch leisten konnte. Dachte ich.

5
    An guten Tagen sehe ich aus wie der
Mann aus der Gauloise-Reklame. Doch als ich jetzt in tiefster Nacht barfuß und
in meinen hellblau-weiß-gestreiften Pyjama den Flur zum Schlafzimmer
entlangtappte, hatte ich, von den Streifen meines Schlafanzugs mal abgesehen,
so gar nichts mehr gemein mit diesem aufdringlich gut gelaunten, lässigen Liberté-toujours -Typen, der fröhlich mit seinem Hund spazierengeht.
    Ich
fühlte mich wie hundertfünf und wollte nur noch eins: Schlafen! Selbst wenn mit
einem Mal die schönste Prinzessin der Welt vor mir gestanden hätte, ich hätte
müde abgewinkt.
    Als ich im Halbdunkel ein kleines rotes Licht blinken sah, hielt ich
es zunächst für die Folgen meines Schädelhirntraumas. Doch es war nur der
Anrufbeantworter, der von seinem Standort am Ende der Diele aus ein stummes
Signal in die Nacht sandte. Mechanisch drückte ich den kleinen runden Knopf
herunter.
    Â»Sie haben eine neue Nachricht«, plärrte
mir eine automatische Frauenstimme ins Ohr. Und dann hörte ich eine andere Frauenstimme,
die mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
    Â»Jean-Luc? Jean-Luc, wo bist du? Es ist kurz vor eins, und ich kann
dich nicht erreichen! Dein Handy ist auch ausgeschaltet.« Die Stimme klang
angespannt. »Was machst du denn nur, mitten in der Nacht? Hast du meine
Nachricht nicht erhalten? Du wolltest doch vorbeikommen! Bin ich dir so egal?«
Eine kleine anklagende Pause folgte, dann bekam die Stimme hysterische
Untertöne. »Jean-Luc, warum gehst du nicht ans Telefon? Ich kann nicht mehr,
ich werde nie mehr malen. Nie mehr, verstehst du?«
    Nach dieser dramatischen Ansage herrschte eine lange Stille. Dann
schlug die Tragödin noch einmal zu. »Alles ist dunkel. Mir ist kalt, und ich
bin ganz allein.«
    Die letzten Worte klangen wahrhaft gruselig und nach mindestens vier
Glas Rotwein.
    Ich sank auf den kleinen harten Stuhl neben dem Telefon und schlug
stöhnend meine Hände vor das Gesicht. Soleil! Soleil hatte ich völlig
vergessen.
    Â»Liebe kleine Soleil«, flüsterte ich verzweifelt. »Bitte verzeih
mir, aber ich kann dich jetzt nicht mehr anrufen. Ich kann es einfach

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