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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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– Künstler sind ganz besondere Wesen. Bei allem
Gestaltungswillen haben sie empfindsame Seelen und ein fürchterlich labiles
Selbstbewußtsein, das ständig gestärkt werden will. Und ein Galerist, der mit
»lebenden Künstlern« arbeitet, muß vor allem eines können: diese Wesen
aushalten.
    Neben mir ertönte ein leises Miauen. Ich blickte nach unten. Zwei
leuchtend grüne Augen starrten mich unverwandt an. Sie gehörten zu Onionette,
was Zwiebelchen bedeutet. Und Zwiebelchen ist der kleine Kater von Soleil. Bis
heute habe ich nicht herausfinden können, warum das poussierliche Tierchen den
Namen einer Alliaceae trägt, aber warum sollte ausgerechnet Soleil eine Katze
haben, die Mimi oder Foufou heißt. Das wäre viel zu normal.
    Â»Onionette«, flüsterte ich erstaunt und streichelte dem schnurrenden
Kater über das getigerte Fell. »Wo kommst du denn her?« Zwiebelchen strich ein
paarmal um meine Beine, dann verschwand er auf der kleinen, vom Innenhof
abgetrennten Terrasse, die zu Soleils Wohnung gehörte. Ich zwängte mich durch
die Lücke, die es an einer Seite zwischen Zaun und Hauswand gab, und blickte
durch die verglaste Schiebetür in Soleils Schlafzimmer.
    Es war dunkel im Zimmer, die Jalousien waren halb heruntergelassen,
und ich konnte nicht erkennen, ob Soleil in ihrem provisorischen Bett, einer
riesigen Matratze, die einfachheitshalber auf dem Fußboden lag, schlief.
    Â»Soleil?« Ich klopfte zögernd gegen die Scheibe, dann drückte ich
leicht gegen die Schiebetür. Sie glitt auf wie ein Sesam-öffne-dich, und ich
wunderte mich über Soleils Leichtsinnigkeit. Tief in ihrem Herzen lebte sie
wohl immer noch in der unberührten Natur der westindischen Inseln, wo sie als
Kind aufgewachsen war.
    Ich hielt den Atem an und lauschte in die friedliche Dunkelheit des
Zimmers. »Soleil, alles in Ordnung?« rief ich leise und mit einem Mal befangen
durch den fast unwirklichen und zugleich betörenden Duft nach Terpentin, Zimt
und Vanille, der den Raum erfüllte und der mir das Gefühl gab, mir
unerlaubterweise Zutritt in einen orientalischen Harem verschafft zu haben.
    Vorsichtig schlich ich zu der Schlafstätte, die im hinteren Teil des
riesigen hohen Raumes lag. Und dort lag auch Soleil, auf dem hellen Laken
hingegossen wie eine Bronzefigur. Sie war vollkommen nackt. Ein schwacher
Lichtschein, der durch die offene Tür fiel, die in die Küche führte,
beleuchtete sanft ihr Gesicht, und ihre Brust hob und senkte sich in schönster
Regelmäßigkeit.
    Im ersten Moment war ich erleichtert. Dann bezaubert. Ich sah auf
die schlafende Soleil, und alles kam mir mit einem Mal so unwirklich vor, als
träumte ich es nur. Ich ertappte mich dabei, daß ich meinen Blick schon viel zu
lange auf diesem anmutigen Körper ruhen ließ.
    Was tat ich hier eigentlich? Schlich mich in fremde Wohnungen und
starrte nackte Frauen an! Soleil schlief wie eine friedliche Göttin, ihr fehlte
nichts, und ich war mit einem Mal kein Lebensretter mehr, sondern ein Voyeur.
    Ich riß den Blick los und wollte gerade leise den Rückzug antreten,
als meine Ferse einen Gegenstand streifte. Die leere Weinflasche, die dort
gestanden hatte, fiel klirrend um, und in der Stille der Nacht hörte es sich
an, als stürzten die Mauern von Jericho ein.
    Ich zuckte zusammen.
    Die Bronzefigur hatte sich bewegt und starrte nun in meine Richtung.
»Ist da jemand?« Soleils Stimme klang schläfrig.
    Â»Ich bin’s nur, Jean-Luc!« flüsterte ich zurück. »Ich wollte nur
sehen, ob alles in Ordnung ist.« Das war immerhin die Wahrheit.
    Soleils Augen glänzten. Es schien sie überhaupt nicht zu verwundern,
daß ihr Galerist und Agent mitten in der Nacht vor ihrem Bett stand. Mit der
Unbefangenheit eines Kindes setzte sie sich auf, ihre kleinen, runden,
milchkaffeebraunen Brüste bebten ein wenig, ich hätte mir schon die Augen
zuhalten müssen, um es nicht zu sehen.
    Eisern konzentrierte ich meinen Blick auf ihr Gesicht und nickte
freundlich wie ein Oberarzt bei der Visite.
    Soleil verzog ihren großen Mund zu einem noch größeren Lächeln, und
ihre weißen Zähne schimmerten. »Du bist gekommen!« sagte sie glücklich und
streckte eine Hand nach mir aus.
    Â»Natürlich«, sagte ich und wagte mich einen Schritt weiter vor. »Ich
hab mir Sorgen gemacht … du klangst schrecklich.«
    Ich

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