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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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wollte schon mein Handy vom Ohr nehmen, als ich Bruno noch etwas
sagen hörte. »Was?!« rief ich, bereits auf der Treppe in den Metroschacht.
    Â»Ich wette mit dir um eine Flasche Champagner, daß es diese
Künstlerin ist!« rief Bruno.
    Â»Wer? Soleil?! Niemals. Die ist verliebt in irgend so einen Trottel,
der sie nicht verdient.«
    Â»Und wenn du dieser Trottel bist?«
    Â»Bruno, was redest du für einen Quatsch. Soleil ist wie eine
Schwester für mich«, erklärte ich ungeduldig. »Außerdem paßt das nicht zu ihr.
Sie schreibt doch nicht solche altmodischen Briefe. Sie bastelt sich
Brotmännchen und macht Voodoo-Zauber.«
    Â» Und du warst nachts in ihrem
Schlafzimmer, und sie hatte nichts an, und sie war überhaupt nicht verlegen, und am nächsten Tag war die große Krise plötzlich vorbei, und sie hat gesagt, der Zauber hätte schon gewirkt«, zählte Bruno auf.
    Â» Und du siehst mal wieder Gespenster«,
schloß ich.
    Â»Wetten wir?« Bruno ließ sich nicht von seiner tollen neuen Theorie
abbringen.
    Â»Also gut, wenn du unbedingt einen Champagner ausgeben willst.« Ich
lachte. Bruno lachte auch.
    Â»Wir werden sehen«, sagte er.

9
    Die Gare de Lyon ist der einzige
Bahnhof in Paris, in dem in der Halle vor den Gleisen echte Palmen stehen.
Hochgewachsene Palmen, ein bißchen angestaubt, nicht gerade Prachtexemplare –
der Mangel an Sonne macht sich wohl bemerkbar –, aber dennoch schüchterne
Vorboten des Südens. Denn von der Gare de Lyon aus fahren die Züge nach
Südfrankreich bis ans Mittelmeer.
    Außerdem befindet sich in der Gare de Lyon auf
der ersten Etage das schönste Bahnhofsrestaurant der Welt: Le Train Bleu.
    Benannt nach dem legendären »Blauen Zug«, der noch bis
in die sechziger Jahre zwischen Paris und der Côte d’Azur verkehrte, atmet
diese riesige, fast zwölf Meter hohe Halle mit ihren prachtvollen
Deckenmalereien, die die einzelnen Etappen einer Reise an die Mittelmeerküste
darstellen, den goldenen Lüstern und Ornamenten, den Statuen und großen
rundgebogenen Fenstern, die den Blick auf die Gleise freigeben, den Geist der
Belle Epoque. Einer Epoche, als man noch nicht von Touristen, sondern von
Reisenden sprach, als die Welt noch unendlich groß war und man seinem Ziel
gemächlich entgegenrollte, die wechselnden Landschaften an sich vorüberziehen
ließ und der Strecke, die man zurücklegte, eine angemessene Zeit einräumte,
statt für ein Wochenende in die Hauptstädte dieser Welt zu jetten – ein
vermeintlicher Triumph über Zeit und Raum, denn Körper und Geist brauchen eine
Weile, um anzukommen.
    Ich
kam nicht oft hierher, eigentlich nur, wenn ich Gäste hatte, die vom berühmten
Le Train Bleu gehört hatten. Dann führte ich sie hierher und aß mein
Chateaubriand mit Sauce Béarnaise – ein etwas altmodisches Gericht, das man in
den postmodernen Restaurants der Pariser Szene kaum noch auf der Speisekarte
findet und das hier sehr gut ist.
    Aber
immer wenn ich die riesige Halle betrat, überwältigte mich die Eleganz und
Schönheit, die hier herrschte, aufs neue. Ich blickte auf die Wandmalereien,
die die Pyramiden zeigen, den alten Hafen von Marseille, das Theater von Orange
oder den Mont Blanc, und dachte mit leisem Bedauern und einer gewissen
Sehnsucht an diesen verlorengegangenen, unglaublichen Luxus des Reisens, das
sich so sehr unterscheidet von dem, was wir heutzutage Ferien oder Urlaub
nennen.
    Tempi passati! Die große runde Uhr, die
im hinteren Teil des Restaurants hängt, zeigte Viertel nach zwölf, und ein
ohrenbetäubendes, anachronistisches Geschnatter erfüllte den großen Saal im
Eingangsbereich.
    Eine riesige Reisegruppe belagerte die Reihen von
dunkelbraunen Lederbänken, zwischen denen weißgedeckte Tische standen, und
machte sich über das Mittagsmenu her, das schwarzgekleidete Kellner auf großen
Silbertabletts herbeischafften. Es war eine Horde gutgelaunter, wohlgenährter Holländer,
die in erschreckendem Kontrast standen zu der ruhigen Vornehmheit, die
ansonsten in dem Saal herrschte. Alle schrien durcheinander, fuchtelten mit den
Gabeln in der Luft herum, Photos wurden gemacht, ein Weinglas fiel um, dann gab
es einen Trinkspruch, dem dröhnendes Gelächter folgte.
    Fasziniert
starrte ich auf das Konglomerat aus sich öffnenden Mündern, nickenden Köpfen
und

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