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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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lächelte verwirrt. Ich befand mich noch in meinem eigenen
kleinen Film.
    Â»Janet, bring Jean-Luc nicht so in Verlegenheit!« sagte Jane. »Meine
Nichte ist immer so direkt«, meinte sie dann an mich gewandt.
    Â»Ihre Nichte?« wiederholte ich wie ein Schwachsinniger.
    Jane nickte stolz. »Ja, meine
Nichte. Janet ist zum ersten Mal in Europa, wir sind vor zwei Tagen angekommen,
wir haben ein entzückendes Apartment im Marais gemietet, und nun zeige ich ihr
die Attraktionen von Paris.«
    Â»Sie bringen sie also nicht zum Zug? Nach Nizza?« hakte ich nach.
    Jane sah mich verständnislos an. »Aber nein, Jean-Luc, wie kommen
Sie darauf?« Sie schüttelte ihre roten Locken. »Wir wollen hier nur etwas essen
und das Restaurant ein wenig bewundern, nicht Zug fahren.«
    Â»Na … also … na, das ist doch wunderbar!« rief ich erleichtert aus.
    Ich lächelte Jane glücklich an. Die gute Jane. Ich mochte sie
wirklich. »Was für eine wunderbare Idee!«
    Ich muß wohl ein wenig übergeschnappt gewirkt haben, denn Jane
Hirstman wechselte einen erstaunten Blick mit ihrer Nichte, als wollte sie
sagen: Normalerweise ist er nicht so.
    Dann hielt sie mir die Menukarte hin und fragte: »Ist alles in
Ordnung mit Ihnen, Jean-Luc?«
    Ich nickte und dankte Gott, der mein Gebet erhört hatte. Ich atmete
einmal tief durch, seufzte lächelnd und blickte entspannt in die Runde.
    Vor mir saß Jane, die einfach nur Jane war und sonst nichts.
Sie saß da mit ihrer Nichte, die nicht ihre Freundin war und die sie
anschließend auch nicht zum Zug bringen wollte. Die Welt war wieder in Ordnung,
die Principessa war nicht erschienen, und ich hatte plötzlich einen
Bärenhunger.
    Â»Warum kommen Sie nicht mit Ihrer Nichte zu unserer
Ausstellungseröffnung am achten Juni, ich würde mich sehr freuen.« Ich ließ mir
mein steak au poivre schmecken und spießte ein
paar lange dünne Pommes frites auf meiner Gabel auf.
    Â»Oh
ja, Jane, laß uns hingehen!« rief Janet begeistert. »Da sind wir doch noch in
Paris, oder?«
    Jane schmunzelte über den Eifer ihrer Nichte. »Ich denke, das läßt
sich einrichten. Wer stellt denn aus?«
    Â»Eine sehr interessante Künstlerin, die auf den westindischen Inseln
aufgewachsen ist – Soleil Chabon – sie hat vor zwei Jahren schon mal in der
Galerie du Sud ausgestellt. Und diesmal haben wir uns etwas ganz besonderes
ausgedacht – eine kleine feine Vernissage in den Empfangsräumen des Duc de
Saint-Simon, die wir für diesen Anlaß mieten konnten.«
    Â»Das klingt ja ganz zauberhaft. What a very special place. «
    Unsere Blicke kreuzten sich für einen Moment, und ich war mir
sicher, daß Jane an jenen aufregenden Morgen im Saint-Simon dachte, als die
aufgebrachte June plötzlich schreiend vor ihrem Bett stand. Jane lächelte und
nahm einen Schluck aus ihrem Weißweinglas. »Ich habe immer gern dort gewohnt,
man hat das Gefühl, in einem anderen Jahrhundert zu sein«, sagte sie zu Janet.
»Das wird dir gefallen.«
    In einem anderen Jahrhundert … Während
Jane ihrer Nichte das Hotel beschrieb, schweiften meine Gedanken ab. Meine
kleine Brieffreundin aus einem anderen Jahrhundert war nicht gekommen, oder ich
hatte sie verpaßt. Nachdenklich sah ich aus dem großen Fenster, vor dem wir
saßen, und blickte auf den Bahnhof unter mir. Auf Gleis drei wartete ein Zug
auf seine Abfahrt. Die letzten Reisenden stiegen mit ihren Koffern ein, ein
Mann umarmte eine Frau, winkende Hände sagten Lebewohl. Die Sehnsucht schwebte
wie eine kleine weiße Wolke über dem Bahnsteig.
    Gibt es ein Bild, das den
Abschied besser erfaßt, als ein abfahrender Zug? Ich ließ meine Blicke bis zum
Ende des Gleises schweifen und lächelte über meine kleine vorphilosophische
Anwandlung. Im Gegensatz zu Flughäfen machen mich Bahnhöfe immer ein wenig
sentimental.
    Und dann, kurz bevor der Zug endgültig von Gleis drei abfuhr, sah
ich ganz hinten vor einem der letzten Waggons zwei Frauen mit ihren
Reisetaschen stehen. Die eine hatte schulterlanges dunkles Haar und trug ein
sommerliches rotes Kleid, das sich im Wind um ihre schlanken Beine bauschte.
Die andere stand mit dem Rücken zu mir. Sie hatte ein fließendes helles Kostüm
an, und ihre glatten, silbrigblonden Haare reichten ihr fast bis in die Taille.
Dann drehte sie sich ein wenig zur Seite, sie sagte

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