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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Bürgermeister alle Lehrerinnen vor sich erscheinen und den Befehl an sie ergehen lassen, die Kinder in ihren Schulen nicht mehr in bunter Wolle sticken zu lassen . Warum keine bunte Wolle? Das dänische Regime fürchtet, die Kinder könnten Blau, Weiß, Rot, also die schleswig-holsteinischen Farben versticken und damit ihren und ihrer Eltern Hass auf die ungeliebte Obrigkeit öffentlich machen.
    Storm ist seit einer Woche in Heiligenstadt in Amt und Würden, als Constanze am Freitag, den 12. September von Husum aus mit den vier Kindern und dem neuen Kindermädchen Anna aufbricht. Großmutter Lucie hat die Kinder schon für den Winter eingekleidet. Sie nehmen den Zug, der seit Oktober 1854 auch von Husum via Rendsburg und Neumünster nach Altona fährt. Dort steigt Constanze mit ihrem Anhang in den Omnibus, um das Dampfschiff zu erreichen, das als Fähre zwischen Hamburg und Harburg pendelt.
    Der Zug der »Königlich Hannöverschen Staatseisenbahn« zuckelt mit knapp 35 Stundenkilometern Richtung Göttingen. Nach drei Stunden Aufenthalt in Hannover treffen die Reisenden laut Fahrplan um 20.25 in Göttingen ein. Storm, den Constanze schon ein paar Stationen vorher am Bahnhof Kreiensen zu treffen gehofft hatte, holt die Seinen mit dem Pferdefuhrwerk ab.
    So kamen wir denn gegen 9 Uhr in Göttingen an. – ich wirklich halb gerädert, 2 Tage auf diesen harten Bänken und mit dem schweren Kinde auf dem Schooß. Da mußten wir uns denn nach kurzer Erquickung wieder auf den Wagen setzen und hierher fahren , wird Constanze ihrer Schwiegermutter nach Husum schreiben. Noch einmal drei Stunden mit dem Pferdewagen über Stock und Stein in die aufziehende Nacht. Außerhalb der Stadt stehen auf einem sieben Magdeburger Morgen (ca. 18 000 m²) großen Grundstück zwei Häuser. Es ist das Anwesen des in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Ehepaars Aldehoff, das nun an Verkauf denkt. Eingezogen sind die Storms in das größere Haus an der Straße, Blick auf die Berge. Wie lange werden sie bleiben können? Dort also trifft die Familie mit dem Kindermädchen nach Mitternacht ein. Es ist der 14. September, Storms 39. Geburtstag. Gefeiert wird nicht, die Familie ist fix und fertig, endlich einmal ausschlafen, und der neue Tag sieht die Familie etwas mißgestimmt und müde, trotzdem stiegen wir gegen Abend noch etwas in die Berge; es ist hier wirklich unsaglich schön was die Natur anbetrifft und Theodor fühlt sich hier schon so zu Haus .

Es ist hier gar schön und gut sein
    Storm, der Großstadt Berlin und dem Militär-Kasino Potsdam entkommen, erfreut sich an Heiligenstadt und Umgebung: Reizende Natur und noch wirklich eine von der Eisenbahn ungestörte Behaglichkeit provinzialen Stillebens . Mit 6500 Einwohnern ist Heiligenstadt überschaubar groß wie Husum, für Storm ein Ort aus der guten alten Zeit. Spannend für ihn, dem von Natur aus Neugierigen und Suchenden, ist das Katholische. Der Katholizismus prangt hier in seiner ganzen Ostentation , schreibt er an seinen Freund Ludwig Pietsch. Husum? Husum ist nicht mehr das, was es einmal war. Mal abgesehen von der Dänenherrschaft: Die Eisenbahn stört und stinkt inzwischen, Behaglichkeit und stilles Leben sind dahin. Das, was ihm in seiner Heimatstadt von Meer, Land und Leuten als sein Heimweh in die Dichterseele gelegt wird, ist in Heiligenstadt die schöne Gegend vor der Thür, und überall in der Nähe die Eichendorff-romantischsten Berg- und Schluchteinsamkeiten, wirklich zum Theil von wundersamer Stille und Poesie.
    Storm ist wie Eichendorff kein Stadtmensch, ähnlich wie der Dichter aus Schlesien bezieht der Dichter aus Schleswig sein Dichterheimweh aus der Natur seiner heimatlichen Gefilde, die ein Phantasieland namens »Poesie« sind. Eichendorff beschwört den auf immer verlorenen Ort seiner Kindheit. Fern aller Eisenbahn liegt Schloss Lubowitz, das seine hochverschuldeten Eltern verkaufen mussten. Der Dichter spricht: O Täler weit, o Höhen, o schöner grüner Wald ; er muss fort von hier: Bald werd’ ich dich verlassen, fremd in die Fremde geh’n. Anders als Storm findet Eichendorff aber nie in die Heimat zurück.
    Entkommen nach Heiligenstadt mit Hilfe der Eisenbahn, die Husum und Potsdam verbindet, auch Husum und Heiligenstadt – nicht ganz, denn es fehlen noch die Brücke über die Elbe und die Schienen von Göttingen nach Heiligenstadt. Entkommen den Freunden des Rütli, der Dichter-Eifersucht, der Anstrengung, in diesem Kreis immer wieder »die Nummer

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