Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
schreibt er Constanze. Gebadet hat er fast täglich, zuletzt nimmt er in Rathenow ein Wellenbad hinter einem gehenden Mühlrade. Das Bad bringt Kopfschmerzen und weiteren Rheumatismus.
Ein Blick zurück: Im Mai 1856 fährt Constanze mit den Kindern für mehrere Monate von Potsdam nach Hause in die Ferien. Am Abend vor ihrer Abreise schreibt Storm seinen Schwiegereltern nach Segeberg: Nun sind die Kinder zu Bett, die Koffer weggeschickt. Sohn und Tochter des geschätzten Richter-Kollegen Rudolf Hermann Schnee stehen kurz vor dem Aufbruch nach Hause. Schon früh hat man sie Tradition gelehrt und ihnen den üblichen gesellschaftlichen Schliff beigebracht: Hermann (16), der begabte junge Maler, liegt noch schlafend auf meinem Sopha und wartet bis Louise (20) , die noch die Reste der Reiserüstung besorgt, mit ihm heimwandert.
Storm steht die erste Reise aus dem Exil in die Heimat bevor. Er freut sich auf Husum, auf Garten und Blumen, hofft auf Gesundung und Bestallungsurkunde. Wie üblich steckt er in Potsdam noch bis über beide Ohren in Arbeit. Er sorgt sich um seine durch die Anstrengungen des Aktenlesens getrübte Sehkraft und leidet wieder einmal am Augenübel. Die Buchstaben verschwimmen. Rheumatismus in Kopf und Körper hat ihn abermals im Griff. Er probiert russische Dampfbäder aus. Erneut muss er Urlaub nehmen.
Während seine Lieben schon in Segeberg sind, fährt er nach Berlin. Rütli-Freund Merckel-Immermann steckt ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit, die Kreisrichter-Bestallung sei auf gutem Wege. Storm greift die Gelegenheit beim Schopfe und macht zusätzlichen Druck: Einer schon geschriebenen Bewerbung lässt er ein ebenso geziemendes als energisches Gesuch an den Minister folgen. Man muß hier nicht blöde sein, der Minister ist ein guter Mann, aber eine alte Tante .
In Potsdam lässt er den Hausarzt kommen; der erkennt eine doppelseitige Augenlidentzündung in Folge von anstrengenden amtlichen Arbeiten. Dem Doktor fällt der etwas stark gewölbte Bau der Augen des Herrn Patienten auf; er verordnet den fünfwöchentlichen Gebrauch eines ableitenden Brunnens (Kissinger Rakoczy), und nach der Kissinger-Kur eine zwei bis dreiwöchentliche Ruhe . Unterschrieben ist das Attest mit Potsdam, den 3ten Juni 1856,
Dr. Branco Regimentsarzt.
Kissinger Brunnen könne er auch in Segeberg trinken, meint Storm und beschließt, seiner Familie nach Segeberg hinterherzureisen. In Lübeck will er pausieren, um Geibel zu besuchen. An Constanze, die ihre knapp einjährige Lisbeth noch stillt, ergeht die Mahnung: Entwöhne Lisbeth, ehe ich komme . Am Ende desselben Briefes dann: Laß das Entwöhnen auch nur, mein Dange; ich bin eigentlich eifersüchtig, wenn ein Andrer Deine Brust berührt, wir wollen das zusammen machen .
Die Pferdekutsche, die ihn von Lübeck nach Segeberg bringt, befährt heimatlichen Boden, das Wiedersehen mit Constanze und den Kindern steht kurz bevor: Die Schönheit des Landes, diese Busch- und Wiesengelände, die ich ein paar Jahre nicht gesehen, verzauberten mich völlig. Constanze empfängt ihn mit den schwarz gebrannten Jungens . Während Constanze mit den beiden Kleinen nach Husum aufbricht, fährt Storm mit den beiden Großen nach Kiel zum Vetter, dem Juristen und Privatdozenten Ernst Simon Friedlieb (1815–1866).
In den ersten Julitagen erreicht ihn die lang ersehnte Nachricht, unterschrieben am 30. Juni 1856 vom preußischen Justizminister Simon: Bestallung als Kreisrichter ab 1. September, zum Zwecke der Einführung in ihr neues Amt haben Sie sich rechtzeitig in Heiligenstadt einzufinden . Wahrscheinlich erfährt Storm in Kiel davon; denn von Kiel bei Vetter Friedlieb schreibt Storm seinem Vater schon am 3. Juli: Und doch hat mir selten etwas eine so große Freude, nein, einen solchen Herzenstrost gegeben, als Deine Ankündigung, daß Du mich nach Heiligenstadt bringen willst.
Die Potsdamer Ausbildungszeit, die eingeschränkte Selbständigkeit, die Storm als Beschneidung seiner Freiheit empfand, das nervtötende Warten auf den Bewerbungsbescheid, die verneinenden Antworten, die ihn demütigten, das alles hat nun ein Ende gefunden. Seine Stimmung ist gehoben. Er reist mit Hans und Ernst zu seinen Eltern nach Husum. Endlich in der köstlichen Luft meiner Heimat, in den hellen vertrauten Räumen meines elterlichen Hauses. Das steht doch alles noch, obgleich es hier schmählich hergeht . Wie schmählich es hergeht, das berichtet er Freund Eggers: Vor einigen Tagen hat der
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