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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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habe ich gegen euch abzulegen und eine große Bitte wird sich daran knüpfen. Wie ich Euch kenne, so gehört Ihr ja nicht zu den Selbstgerechten und ein wenig lieb habt Ihr mich ja auch. So hört mich denn und seit gut. Nun erzählt Storm, wie ihn die erschütterndste Leidenschaft packte. Sie wurde ihm eingeflößt von einer Frau, kaum dass er mit Constanze verheiratet war. Diese Frau war Doris Jensen. Storms Schwester Cäcilie war schon in der Kinderzeit mit der ein Jahr Älteren befreundet. Sie war die Tochter des Holzhändlers und Senators Peter Jensen, eines angesehenen Husumer Bürgers. Storm spielte mit ihm auch Karten; so manche Runde haben die beiden am L’Hombre-Tisch zusammengesessen. Doris kannte er schon als Kind, er irrt sich aber im Alter, wenn er an Brinkmann schreibt: Während meines Brautstandes kam meine Schwester Cäcilie mit einem etwa dreizehnjährigen Mädchen, einer feinen zarten Blondine, auf mein Zimmer. Sie hatten sich verkleidet und hielten sich eine Zeit lang bei mir auf. Als sie gegangen, sagte ich mir betroffen, daß dieses Kind mich liebe, und ich erinnere mich dessen noch wohl, daß sie schon damals einen eigenthümlichen Reiz auf mich hatte. Dieses »Kind« war während des Brautstandes bereits sechzehn Jahre alt. Storm hat in den Brautbriefen immer wieder Doris Jensen erwähnt: Doris Jensen hat übrigens auch etwas von einer vornehmern Persönlichkeit in sich . Er findet sie so freundlich und allerliebst […], daß Du mir wirklich erlauben mußt, ein bischen für sie zu schwärmen. Bei Tanzveranstaltungen fordert er sie auf zum ersten Tanz, denn nichts sei für eine junge Frau schlimmer, als beim ersten Tanz sitzen gelassen zu werden. Storm markiert hier den Kavalier, gleichzeitig ist er aber auch der »Courmacher«, den er zum Teufel wünscht, wenn er ihn bei Constanze vermutet.
    Storm hat sich innerlich festgelegt auf die dreizehn und auf das Kind; in der Novelle »Ein Bekenntnis« (1887), die er zwanzig Jahre nach der »großen Beichte« schreibt, schildert er die Begegnung mit einer Dreizehnjährigen als unvergessliches Erlebnis: eine verzehrende Wonne überkam mich, ich hätte unter diesen Augen sterben mögen . Zweifellos sieht er in der sechzehnjährigen Doris ein dreizehnjähriges Kind, vielleicht eine Reinkarnation der Bertha von Buchan. Doris ist aber kein Kind mehr, sondern eine junge Frau mit Augen , die mit unsäglichem Erbarmen blickten . Dieses Kind, das kein Kind mehr ist, verbreitet jene berauschende Athmosphäre, der ich nicht widerstehen konnte , schreibt Storm an die Brinkmanns. Die letzte Strophe des Gedichtes »Mysterium«, das Storm zu Lebzeiten nicht veröffentlichen ließ, heißt: Als er ein Weib umarmen wollte, / Lag sanft entschlummert, atmend lind, / An seinem tief bewegten Herzen / Ein blasses müd’ geweintes Kind . So könnte es um ihn gestanden haben und um Doris Jensen. Er mag in ihr in einem weiteren Akt der Selbsttäuschung die Kindfrau gesehen haben; Selbsttäuschung und Habenwollen sind bei Storm ein Paar.
    Anders aber als bei Bertha von Buchan findet er in Doris Jensen das Echo der begehrenden Frau. Das erwischt ihn wie eine Ohnmacht, und das von ihm beschworene Liebesideal, Treue über den Tod hinaus, das Constanze auf sein Geheiß ebenso beschwören musste, ist beim Teufel. Ein Trümmerhaufen, in dem, wie Storm Brinkmann gegenüber betont, ein Verhältniß der erschütterndsten Leidenschaft zwischen uns entstand, das mit seiner Hingebung, seinem Kampf und seinen Rückfällen jahrelang dauerte und viel Leid um sich verbreitete, Constanze und uns .
    Für Storms junge Ehe ist diese Liebesverrücktheit eine Katastrophe. Er, der gern den Spielraum für Rücksichtslosigkeiten in Anspruch nimmt und in seinem Gedicht »Für meine Söhne« predigt, macht jetzt starken Gebrauch davon; das ist eine unerträgliche Belastung und nicht zu ermessende Zumutung für Constanze. Aber sie, die Alles wußte , hält stand. Hätte sie etwa Trennung und Scheidung verlangen sollen? Wäre sie als Betrogene auch rechtmäßig geschieden worden, so wäre sie doch gesellschaftlich erledigt gewesen.
    Die Affäre beginnt wahrscheinlich schon 1847, noch im ersten Ehejahr. Doris kommt oft ins Haus in der Neustadt, und immer, wenn sie da ist, spürt Storm die kindliche Ausstrahlung dieser jungen Frau, bis er, ins Mark getroffen, ihr schließlich erliegt. Vermutlich entwickelt sich diese Liebe aus gleichzeitigem Aufeinanderzugehen, auch wenn Storm Brinkmann gegenüber bekennt,

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