Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Familie, er besaß einen klaren Verstand und ein gutes Urteilsvermögen, und er konnte seinem Urteil einen ebenso klugen wie klaren schriftlichen Ausdruck verleihen. Kein Wunder, dass er auch in literarischen Fragen seinen Mann stand und Storm ein wichtiger Gesprächspartner war.
Sehr wahrscheinlich hat Storm den zwei Jahre Jüngeren schon während seiner Kieler Zeit gekannt. Brinkmann studierte wie Storm Jura, sie werden in einem Hörsaal gesessen haben, Storm hat sicherlich auch Brinkmanns Familie kennen gelernt. Eine tiefer gehende Freundschaft entwickelte sich in Kiel aber nicht; kein Wunder, denn Storm war zu sehr mit den Mommsen-Brüdern verbunden und beschäftigt mit dem gemeinsamen Sammeln für das Sagen- und dem Dichten für das Lyrik-Projekt.
Als Storm seine Advokatur in Husum aufbaute, kam er mit dem Studienfreund in berufliche Verbindung. Brinkmann arbeitete als Sekretär des Amtmannes im Schloss, wo Landvogt, Amtmann und Bürgermeister residierten; ein zentraler Ort der Exekutive: Hier wurde Recht gesprochen, hier wurde das Recht verwaltet und polizeilich durchgesetzt. Im Schloss vor Husum hatte Storm Termine und Auftritte als Anwalt; seine Aktenarbeiten wurden im Schloss geschätzt, sie galten als die gediegensten .
Storm und Brinkmann sahen sich oft abends in der Neustadt. Sie erkundeten gemeinsam, auf der Suche nach Geschichte und Ahnenerbe, tief unterhalb des Schlosses einen vergessenen, von Mauerwerk gestützten Gang, der parallel zur südlich gelegenen Norderstraße nach Osten verlief und ein Ende hatte, wo eingestürztes Gewölbe keinen Schritt weiter erlaubte. Sie gingen gemeinsam über den Deich und marschierten nach Hockensbüll zur Wirtin Trina oder sie unternahmen einen Mai-Spaziergang zum Hegereiter in den Immenstedter Forst. Auch nach dem sieben Kilometer entfernten Hattstedt zogen die beiden; hier wohnte die verwitwete Mutter des alten Schulkameraden Ohlhues mit ihrer Gesellschafterin Agnes Wommelsdorff; Agnes war Storms Eltern freundschaftlich verbunden und tauschte später mit Theodor und Constanze Briefe.
Als Gesprächspartner war Brinkmann für Storm ein Glücksfall. Er ist außerordentlich nett, so durch und durch fein, fast jungfräulich in seiner Denkungsart , schrieb er Constanze. So einen brauchte er in Husum während der Verlobungszeit. Da er sich nicht zurückhalten mochte – wer das Herz auf der Zunge trägt, wird schnell los, was ihm auf der Seele liegt –, konnte er dem Freund von seinen Sorgen und Nöten, von Liebesideal und Liebeskummer erzählen. Brinkmann war ein guter Zuhörer; selbst zurückhaltend, war er brennend interessiert an Storms Geschichten, denn er hatte sich in Laura Setzer verliebt, Storms Chorsängerin, die dieser nach einem Übungsabend heimbegleitet hatte.
Laura war die Tochter von Anton Wilhelm Ludwig Setzer (1785–1858), dessen Familie mit der Storm-Familie verkehrte. Setzer, Amtsverwalter in Husum, hatte eine große Zahl von Töchtern, von mindestens acht ist die Rede, und alle sollen hübsch gewesen sein. Laura war eine von den Nixen im Nixenchor, mit dem Storm so peinlich vor der Majestät des dänischen Königs scheiterte.
Nun hatten Brinkmann und Storm das gleiche Schicksal, beide hatten ihre Liebe, und als Brinkmann sich mit Laura verlobte, hatten beide ihre Verlobte. Brinkmann stand eine noch härtere Probe bevor als Storm. Vater Setzer war mit ihm als Schwiegersohn nicht einverstanden; erst 1853, nach sieben Jahren Verlobungszeit, durften die beiden heiraten. Brinkmann war ein Muster an Pflichterfüllung und Menschlichkeit – er habe gesagt, er kenne fast keinen Menschen, der nicht irgendeine respectable Seite habe , schreibt Storm an Constanze – und machte seinen Berufsweg in der Justizverwaltung; als Amtsgerichtsrat ging er 1898 mit achtundsiebzig, nach dreiundfünfzig Jahren Staatsdienst, in den Ruhestand. Er starb mit fast einundneunzig am 9. Juli 1910 in Flensburg.
Dass Storm diesem treuen, verschwiegenen Mann, der nicht nur Freund und Kollege ist, sondern auch sein kenntnisreich-kritischer Leser, besonderes Vertrauen schenkt und als Adressaten auswählt für den heikelsten Brief seines Lebens, ist nur zu natürlich. Storm war bei ihm über eine lange Lebenszeit in guten Händen, ihm konnte er sich, komme, was da wolle, anvertrauen, eingeschlossen in dieses Vertrauen war Laura, Brinkmanns Frau. So schreibt er denn zwanzig Jahre später – fast ein Jahr ist seit Constanzes Tod vergangen – an seine Freunde: eine große Beichte
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