Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
wieder. So geschah es, daß sie sich nun zuweilen am dritten Orte sahen; bald aber kam er auch in ihr Haus, oft und öfter, zuletzt fast täglich. Anna bringt ein Kind zur Welt, das, kaum ein Jahr alt, stirbt. Ihre Liebschaft hat sich herumgesprochen, weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Arnold muss verzichten, auf Nimmerwiedersehen, Anna muss sich von ihrem Ehegatten trennen, seine Stellung zum Hofe und zur Gesellschaft verlangten das .
Anna und Arnold sehen sich dann aber doch wieder. Und jene armselige Ehe ist darüber fast zerbrochen, sagt Anna zu ihrem Vetter Rudolph. Auf seine Frage, ob Arnold der Vater ihres verstorbenen Kindes sei, antwortet sie: Nein Rudolph, […] leider nein . Anna zwingt sich, will Haltung bewahren und vom Ehe-Unglück noch ein Restglück retten. Der Autor kommt ihr zu Hilfe. Der steuert das dramaturgische Schicksal der Novelle ins »Ende gut, alles gut«: Annas Gatte stirbt. Die Liebe marschiert nun auf der Siegerstraße und reißt die Schranken nieder, die Adels- und Bürgersleute trennen. Es sind Arnolds Erziehungskunst und seine energische Intelligenz, die Überzeugungsarbeit leisten und schließlich Anna das »Adel verpflichtet« vergessen lassen. Arnold ist ähnlich überehrgeizig und schulmeisterlich, erkünstelt und gespreizt wie Storm. Die überbeflissene und allzu wandlungsfähige Anna findet ihr wahres Glück, nachdem sie durch Arnolds Liebes- und Lebenslehre gegangen ist. Die Geschichte landet 1862 hart am Kitschrand in dem »Illustrirten Familienblatt« namens »Gartenlaube«. Hier siegt das Gute am Ende zum Besten der Menschheit, allerdings mit einem Haar in der Suppe: Man mag nicht an diesen Sieg glauben.
Dennoch: Lesenswert ist diese Novelle auch heute noch. Das ist sie immer da, wo Storms Schulmeisterei zur Welt- und Menschenverbesserung keine Rolle spielt und wo eine segensreichere Zukunft für Leben und Liebe nicht beschworen und eingefordert wird; denn es sind, wie Peter Rühmkorf sagt, der Drang zu missionieren und der Wille, mitzuhebeln unfruchtbare Prämissen . Da, wo der Dichter in den Bildern und Stimmungen, die er entwirft und hervorruft, seinen ganz eigenen Ton trifft, führt er seine Leser auf die ewig grüne Wiese reiner Poesie, und die ist immer voll schönster Spannung und kräftigender Muße, ein Ort der Zeitlosigkeit, des Gebens und Empfangens. Einigen Gestalten möchte man gern auch außerhalb der Novelle begegnen, so dem rechtschaffen-klugen Vetter Rudolph, der Brinkmannsche Züge trägt; so dem ein wenig kauzigen und großmütigen Oheim Christoph, dem Vogelfreund mit seinen Staren und Starenkästen, dem Mann mit harter Schale und weichem Kern, einem wie Storms Vater Johann Casimir.
Aufgewühlte Zeiten liegen hinter Storm, mehr davon liegt noch vor ihm. Hat die Affäre mit Doris Jensen, die 1847 begann, ein Ende gefunden? Man weiß es nicht; denn jahrelang soll sie fortbestanden haben, wie Storm selber an Brinkmann schrieb. Das heißt, sie muss, nachdem die Geliebte Husum im Frühjahr 1848 verlassen hatte, noch angedauert haben.
Die privaten Aufregungen werden überlagert von der politisch aufgewühlten Zeit, die innerhalb von zwei Jahren dreimal Krieg und zweimal Waffenstillstand bringt. Die Herzogtümer kommen unter die Räder der Großmächte Preußen, Österreich, Russland, Schweden, Dänemark und England; die Schleswig-Holsteiner empören sich und schreien »Verrat«. Ihr Versuch, die eigene Sache selber in die Hand zu nehmen und das Blatt noch einmal zu wenden, ist so mutig wie aberwitzig und von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Nach der verlorenen Schlacht bei Idstedt soll in einem letzten verzweifelten Versuch das von den Dänen besetzte Friedrichstadt wieder befreit werden. Vom Husumer Deich aus hört man die Kanonenkugeln einschlagen. Die Belagerung unter dem unglücklich operierenden General Willisen, der schon in Idstedt gegen die Dänen den Kürzeren zog, muss abgebrochen werden, weil Preußen und Österreich Druck machen. Das Bombardement hat schreckliche Folgen. Durch Husum ziehen Verwundete, hunderte und hunderte; aber nicht Allein Dänen auch Kinder, Weiber, Greise, die durch die Kugeln ihrer eignen Brüder zerrissen, verstümmelt, verbrannt waren , schreibt Storm an Brinkmanns Verlobte Laura Setzer.
Der Krieg hat vor Storms Haustür Angst und Schrecken verbreitet, Leid und Tod gebracht. Schleswig steht nun unter preußisch-dänischer Landesverwaltung, der Dichter spürt schmerzlich die Willkür der Besatzung und schreibt
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