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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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daß ich damals so verfrüht und gewaltsam meine Hand auf sie legte, das war freilich ein Frevel . Man darf sich Doris, die Storm später in zweiter Ehe geheiratet hat, gewiss als aktiv Beteiligte vorstellen, eher unbedarft-blauäugig als berechnend-eigensüchtig. Für Storm entwickelt sich eine Passion, die mit Constanze nicht möglich ist: In meiner jungen Ehe fehlte Eins, die Leidenschaft, schreibt er an Brinkmann.
    Dieser Beziehung entspringen Gedichte jenseits aller Rhetorik, Worte wie aus Fleisch und Blut, hier pulsieren Storms Leben und das seiner Geliebten. Storms Gedichte aus dieser Lebensphase sind Perlen deutscher Poesie. Der Dichter trifft hier das Zauberwort, das unmittelbares Empfinden ist und ohne Umweg in den Ausdruck gelangt. Wie im Rausch geht er unter, zieht uns mit und verliert doch Übersicht und Sprache nicht. Er wandelt wie der Artist in der Zirkuskuppel auf einem Hochseil über den brennenden Trümmern seines Liebesideals, schreibt dort oben mit sicherer Hand kunstvolle Figuren in die Luft wie das Gedicht »Noch einmal!«, das er wohl in dieser Passionszeit niedergeschrieben hat und das 1852 zuerst gedruckt wurde.
    Noch einmal!
    N och einmal fällt in meinen Schoß
Die rote Rose Leidenschaft;
Noch einmal hab ich schwärmerisch
In Mädchenaugen mich vergafft;
Noch einmal legt ein junges Herz
An meines seinen starken Schlag;
Noch einmal weht an meine Stirn
Ein juniheißer Sommertag.
    In der kurzen Novelle »Angelica« aus dem Jahr 1855 erfährt der Leser einiges von Doris Jensen: Sie tanzte gern, sie hatte blonde Locken und eine feine zierliche Gestalt. Sonst sieht er sie als verhärmt Dahinhuschende, die seltsam im Hintergrund bleibt und vom Erzähler mal hierhin und mal dorthin manövriert wird, auch als kleines Mädchen auf dem Schoß ihres vermeintlichen Abgottes. Erinnerungen an Bertha von Buchan: Als »Lockenköpfchen« und Nixe ist auch sie auf den Schoß des Angebeteten gesprungen. Angelica wartet darauf, endlich geheiratet zu werden. Der, den sie möchte, Eberhard, drückt sich um klare Worte und klare Haltung und lässt sie am ausgestreckten Arm verhungern. Das wäre alles noch zu akzeptieren, wenn der Autor Gründe für das Hinhaltende und Undurchsichtige benannt hätte; er tut es nicht.
    Storms Mutter äußerte nach Lektüre dieser Novelle Vorbehalte. Welcher Art ihre Bedenken waren, darüber erfahren wir nichts. Ob sie hinter die Kulissen der Geschichte blickte? Auch ihm selber sind schon Bedenken gekommen. Mir ist, als hätte ich die Angelica nicht sollen drucken lassen, schreibt er am 17. August 1855 an Mörike. Der Text ist missraten und zeugt von schriftstellerischer Hilflosigkeit; in dieser Novelle kann er die Lebens- und Liebesungeheuerlichkeit mit Doris Jensen nicht so packen wie in seinen Gedichten; erst zwanzig Jahre später gelingt ihm das mit »Aquis Submersus«.
    In der Novelle »Im Schloß« (1861) webt Storm ein deutlicher sichtbares biographisches Muster; er tauscht das Geschlecht der Hauptfiguren: In die Verheiratetenrolle schlüpft Baroness Anna. Der Gegenpart gehört dem bürgerlichen Arnold. Beiden hat Storm eigene Persönlichkeitsmerkmale und biographische Details ausgeliehen, so bildet sich das Paar um so fester: Jeder hat ein kleines Stück vom anderen. Anna ist getrieben von Stormscher Zerrissenheit und Offenheit, Arnold von dessen Idealismus. Arnold ist Geistesmensch wie Storm, gebildet und ehrgeizig, ein guter Klavierspieler und Sänger; er entstammt einer Familie, die in einem Dorf wie Westermühlen ihre Wurzeln haben könnte. Anna hat Storms schmächtige Gestalt und die auffallende Bläue seiner Augen; ihre Jugend verweist auf den jungen Storm: Sie klettert auf Bäume, sie ist ein Wildfang, sie liest gern Bücher. Storm zielt auf sich selber, wenn er Anna, die sich selbstkritisch im Spiegel betrachtet, sagen lässt: Im Übrigen aber hatte dieses zigeunerhafte Wesen mit dem schwarzen Haar keineswegs meinen Beifall .
    Das Paar lernt sich kennen, als Arnold im Schloss Hauslehrer des kleinen kränklichen Kuno, Annas jüngeren Bruders, wird, Anna ist da vierzehn. Als Arnold gehen muss, weil Kuno stirbt, ist sie siebzehn Jahre alt und beide haben sich ineinander verliebt. Anna heiratet einen anderen, Adel verpflichtet, aber die hagere Gestalt des Bräutigams mit dem dünnen Haar und den vielen Orden gefällt weder ihr noch den Leuten .
    Das Paar zieht in die Stadt, wo Arnold sich inzwischen als Professor einen Namen gemacht hat. Die Liebenden begegnen sich

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