Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
der Herzog, der im Krieg auf Schleswig-Holsteins Seite war und jetzt Flüchtlingen eine Bleibe bietet, sagt ab.
Im Dezember reist Storm mit Vetter Fritz aus Friedrichstadt nach Berlin. Fritz Stuhr will helfen bei der Stellensuche. Sein verstorbener Onkel Professor Peter Stuhr (1787–1851), Historiker und Mythenforscher in Berlin, kannte den Präsidenten des preußischen Staatsministeriums, Otto Manteuffel. Dieser Reise ist noch kein durchschlagender Erfolg beschieden. Warum fährt Storm gerade in der Weihnachts- und Silvesterzeit nach Berlin? Wer mag ihm da sein offenes Ohr leihen? Vielleicht hofft er, dass »Immensee« ihn zieht; sein literarischer Durchbruch ist mit Berlin verbunden. Da lebt der Verleger Duncker, der alles ins Rollen gebracht hat.
Man isst gemeinsam zu Abend im Kohlschen Etablissement, man geht ins Schauspiel und ins Ballett. Noch an Heiligabend tingelt Storm mit seinem Anliegen durch Berliner Büros und versucht sein Bestes. Er wird hingehalten und weitergeschickt. Er hält Empfehlungen bereit. Auch Brinkmanns Vater, Professor für römisches Recht in Kiel, hat eine verfasst. Verleger Duncker lässt seine Beziehungen spielen. Am Ende macht man Storm wenig Hoffnung für eine Anstellung im preußischen Justizdienst.
Storms Abneigung gegen Preußen mag auch mit diesen Erfahrungen zusammenhängen. Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll, so dichtet er in der Berliner Weihnachtszeit. Er besucht den berühmten Weihnachtsmarkt; Kinder verkaufen da Spielzeug: Kauft, lieber Herr!, heißt es im Gedicht. Und an Constanze schreibt er über den Weihnachtsabend: Das war der trübseligste, den ich noch erlebt . Dennoch ist in allem beruflichen Misslingen ein Trost: die Literatur. Übrigens […] hat mein Name als Poët in den literarischen Kreisen hier einen guten Klang , schreibt er an Brinkmann. Der kluge, einfühlsame Brinkmann hat schon eine Rezension der »Gedichte« verfasst, die gerade in Kiel erschienen sind. Am 7. Januar wird sie in der »Staats- und gelehrten Zeitung des Hamburgischen unparteiischen Correspondenten« veröffentlicht. Brinkmann spricht ein hinreißendes Lob aus und, bemerkenswert, streicht das »deutsche Wesen« des Dichters heraus: Storm – ein ächt deutsches Herz , Storm – das tiefsinnige deutsche Herz , Storm – dem deutschen Dichter , Storm – ein rechter Merkstein deutschen Wesens .
In Berlin hat Storm Künstlerkollegen kennen gelernt: Franz Kugler und Friedrich Eggers. Deren Freundeskreis, dem auch Theodor Fontane angehört, erwartet ihn schon. Anfang 1853 ist die Stimmung gehoben. Das literarische Geschäft zwischen Berlin und Husum, an dem Fontane beteiligt ist, gedeiht. Im März 1853 kommt die erste Anfrage vom preußischen Justizminister. Sohn Karl wird im Juni 1853 geboren. Die Söhne Hans und der kleine Ernemann (Ernst) spielen im Garten hinterm Haus in der Neustadt. Zwei hübsche, tüchtige Jungens, schreibt er an Brinkmann. Mit ihrer Kinder-Schubkarre sind sie beschäftigt, sie klettern über den Zaun auf Nachbars Grundstück. Im Juli sieht es ganz so aus, als könnte Preußen, das Land seines Dauergrolls, bald Arbeit- und Brötchengeber werden: Es besteht Aussicht auf Anstellung an einem preußischen Kreisgericht. Bietet Preußen den Flüchtlingen aus dem Norden Unterschlupf, weil das schlechte Gewissen plagt? Bekanntlich war Preußen dem Großmächte-Trott im Geiste des Wiener Kongresses gefolgt und musste sich vorwerfen lassen, es habe die Schleswig-Holsteiner im Stich gelassen.
Die erste konkrete Hoffnung zerschlägt sich. Im September fährt Storm wieder mit der Bahn nach Berlin; er will seine Angelegenheit vorantreiben. Er lernt nun Fontane und Paul Heyse persönlich kennen. Er besucht die Gräber von Mendelssohn und E.T.A. Hoffmann. Zum ersten Mal trifft er den Literatenzirkel »Rütli« und besucht den Park von Sanssouci. Ende gut, alles gut: Ein Posten als Volontär im Justizdienst rückt in greifbare Nähe.
Im Oktober erfolgt seine Ernennung zum preußischen Gerichtsassessor. Unbeschwerte, sonnige Tage verbringt er mit der Familie in Segeberg. Am 23. November wird er in Berlin vor feierlich besetztem Kammergericht auf die preußische Verfassung vereidigt und dem Kreisgericht Potsdam zugewiesen. Zunächst soll der Neue nur zuhören und Akten studieren. Von Gehalt ist noch keine Rede. Familie und Möbel folgen ihm nach Potsdam. Storm schreibt Constanze, wie die Eisenbahnfahrt nach Berlin in der kalten Jahreszeit am besten zu überstehen sei: Ich
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