Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
werden.
Besatzer-Freveltat auf dem Friedhof: Der Blumenschmuck auf den Gräbern gefallener schleswig-holsteinischer Soldaten wird entfernt. Dazu spricht der Dichter Storm mit dem Gedicht »Gräber an der Küste«. Weiteres starkes Besatzer-Stück: Ein Ehrenmal wird auf dem Friedhof errichtet mit der Inschrift: Den bei der heldenmütigen Verteidigung von Friedrichstadt im Herbst 1850 gefallenen dänischen Kriegern, geweiht von Husums Einwohnern . Storm schreibt darauf:
1. Januar 1851
Sie halten Siegerfest, sie ziehn die Stadt entlang;
Sie meinen Schleswig-Holstein zu begraben.
Brich nicht, mein Herz! Noch sollst du Freude haben;
Wir haben Kinder noch, wir haben Knaben,
Und auch wir selber leben, Gott sei Dank!
Er notiert dazu: Dieser Inschrift und des Belagerungszustandes ungeachtet war nur ein einziger Husumer Bürger in dem Festzuge .
Empörung und Trost, Ermutigung und Besinnung: Storms pädagogischer Eifer bricht durch in den Gedichten dieser Zeit. Sein »Oktoberlied«, das er Ende Oktober 1848 nach dem ersten Scheitern der Erhebung schreibt, ist dafür ein schönes Beispiel. Ich habe eben ein unsterbliches Gedicht gemacht , sagt er zu Freund Brinkmann, als dieser zu ihm ins Zimmer tritt. »Politisch« ist es auf seine eigene Weise; es ist entstanden in natürlichster Opposition gegen die Politik , wie er später gegenüber Brinkmann äußert. Der Dichter hütet sich, mit seinen Gedichten hervorzutreten. Der »1. Januar 1851« taucht erst 1864 in der 4. Auflage seiner Gedichte auf.
Storm ist, wie andere Bürger auch, Opfer dänischer Bespitzelung. Der Husumer Magistrat wirft Storm in den für die königliche Staatssicherheit angefertigten Schriftstücken vor, er habe seine schleswig-holsteinische Gesinnung durch Unterschrift illojaler Adressen […] mannigfach manifestiert . Insgesamt viermal hat Storm sich in der Anfangszeit der Erhebung an solchen Unterschriftsaktionen beteiligt. Es wird ihm aber auch bescheinigt, dass er ein höchst zurückgezogenes Leben geführt habe und ihm keine aufrührerischen Agitationen vorgeworfen werden könnten. Die Mitarbeit bei der »Schleswig-Holsteinischen Zeitung« ist vermutlich gar nicht aufgefallen. Überhaupt kommt Storm in den Meldungen nicht schlecht weg. Nur eine Sache wiegt schwer: sein Name unter der Petition vom 14. Mai 1849.
Wie Storm die Besatzungszeit erlebt und bewertet, erfahren wir auch aus den Briefen, die er an seinen Freund Brinkmann schreibt, der Husum verlassen hatte, weil er im September 1850 Arbeit als »Amtshaussekretär« in Rendsburg fand: Der allgemeine Zustand ist hier der, daß das Volk, die Bauern und der kleinere Bürgerstand vom Polizeidiener, oder Polizeimeister oder Commandanten, mit Stöcken und Fäusten geschlagen wird, wenn sie es für gut finden, d. h. wenn sie die Mütze nicht ziehen, wenn die Bauern ihre Wagen verkehrt gestellt haben.
Storm setzt sich ein für seine Landsleute. Unrecht und Ungerechtigkeit, Willkür und Gewalt vor der eigenen Haustür berühren ihn tief, ja verletzen ihn selber. Er nimmt in erster Linie wahr, was ihm unmittelbar ins Auge oder Ohr fällt. Die sinnliche Erregung begründet seine menschliche Teilnahme, seine berufliche Leidenschaft und ist der Treibstoff für seine Poesie. Seltsam, dass er kaum seinen Blick über Deich und Tellerrand hebt. Die sozialen Unruhen der Landarbeiter mit Protest und Streik in den Güterbezirken im östlichen Landesteil, eine Begleiterscheinung der Erhebung, berühren ihn offensichtlich wenig; auch von den dreitausendsechshundert Schleswig-Holsteinern, die im ersten Halbjahr 1851 nach Amerika auswanderten, nimmt er wenig Notiz. Iowa, Minnesota, Wisconsin heißen die fernen Ziele in Übersee; Städtenamen wie Schleswig, Holstein und Kiel erinnern in diesen Staaten daran.
Die Kränkungen kommen von der dänischen Obrigkeit. Zu ihren Maßnahmen zählt auch die Überprüfung der bisher an Rechtsanwälte und Notare erteilten Patente und Privilegien, die eine Niederlassung als selbständiger Anwalt gestatten. Auch Vater und Sohn Storm werden aufgefordert, ihre Gesuche um Bestätigung ihrer Rechte einzureichen; das tun sie Ende Juni 1851. Erst 1852 werden die Eingaben bearbeitet, und zwar unter Verwendung der Schriftstücke, die von der dänischen Herrschaft in Husum heimlich angefertigt worden sind. Da Vater Storms Verhalten in den nachrichtendienstlichen Papieren nicht beanstandet, sondern lobend herausgestellt wird, ergeht an ihn im November 1852 der neue Genehmigungsbescheid.
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