Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Für Theodor kommt das Nein. Grund ist sein Name unter der Petition, die den König seines Amtes entheben wollte und zur Abschaffung der Personalunion aufgerufen hatte. Zwei weitere Anwälte aus Husum teilen dieses Schicksal.
Hätte es eine Möglichkeit gegeben, der Zwangslage zu entkommen? Schon im Frühjahr 1851, nach dem Ende des dritten und letzten Krieges in der Erhebungszeit, als die dänische Obrigkeit ihre straff gehaltenen Zügel lockerte, wollte die Oberjustizkommission Storm eine goldene Brücke bauen und, so ist anzunehmen, die Angelegenheit vom Tisch haben. Er sollte in einer Erklärung die rechtlichen Verhältnisse im Lande anerkennen. Storm wollte das aber nicht, und Brinkmann schildert er seine Haltung so: Ich erklärte mich dahin, daß, obgleich ich mich bei den politischen Bewegungen nicht betätigt, dennoch mein Gefühl und meine Überzeugung auf Seiten meiner Heimat sei, daß ich dies am wenigsten jetzt verleugnen wolle, wo diese Sache beendet und verloren sei .
In der Zeit des Berufsverbots arbeitet Storm in der Kanzlei seines Vaters; das Nein der Behörden bedeutet nicht seine Ausweisung und Vertreibung, es verbietet lediglich die Führung einer eigenen, mit königlichen Privilegien ausgestatteten Kanzlei. Mich selbst anlangend, so werde ich vorläufig hier bleiben und unter Vaters Firma meine eigenen Geschäfte fortsetzen, schreibt Storm an Brinkmann.
Obwohl die schlechte Nachricht die Storm-Familie schockiert, fangen sich Theodor und Constanze mit ihren Söhnen Hans und Ernst nach dem ersten Schrecken; Constanze ist im dritten Monat schwanger. Storm empfindet Hochgefühl, äußert sich mit Stolz auf die eigene Haltung: Da ich die Ehre ganz behalten, so habe ich auch den Muth nicht ganz verloren, das will heißen, gar nicht, schreibt er an seinen Schwiegervater. In der Familie geht es heiter zu, ja heiterer als sonst, weil wir ja nie im Leben so unendlich viele Chancen gehabt hatten, als jetzt; ich werde ganz wieder jung bei der Geschichte; denn noch einmal steht mir die ganze Welt offen. Dass er so empfindet und lebensbejahend in die Zukunft sieht, hat auch der neue Gedichtband vollbracht, der gerade bei der Buchhandlung Schwers in Kiel erschienen ist. Voll Vertrauen auf das Leben und mich selbst, und durch das Dämmerlicht der Zukunft noch einmal wieder jung […] lege ich die neue Ausgabe meiner Gedichte in deine treue Hand , schreibt er an Brinkmann. Dem Brief legt er als Sorge tragender Autor eine Reihe von Gedanken und Zitaten bei, die dem klugen Brinkmann eine Zeitungsbesprechung erleichtern sollen; denn dieß Buch darf nicht versanden, schreibt der Dichter an den Dichterfreund. Stolz und zufrieden kann er auf die erste literarische Ernte blicken: »Immensee« ist 1851 erschienen in »Sommergeschichten und Lieder« und hat ihm den Durchbruch gebracht.
Storm hat sich auf sein Dichterleben eingeschworen, das ihm so viel wie Heimat ist. Muss er befürchten, in Husum nicht mehr in seiner Muttersprache dichten zu dürfen? Diese Furcht wäre unbegründet gewesen. Alles spricht dafür, dass er in der grauen Stadt am Meer der Dichter und Denker hätte bleiben können, der er dort als Rechtsanwalt schon war. Vertreibung? Davon kann keine Rede sein. Warum geht er also den beschwerlichen Weg ins Exil? Sind es die eingesteckten Kränkungen der Obrigkeit, die ihm die Freiheit seiner künstlerischen Existenz rauben? Kann er nicht über den eigenen Schatten springen? Wie sein Rechtsanwalt-Kollege Beccau könnte er mit etwas Geduld und Geschick die Wiederzulassung in Husum erreichen, bis dahin in der Kanzlei des Vaters arbeiten, wie er das schon praktiziert. An seinen Schwiegervater schreibt er: Wie du mich kennst, denke ich natürlich nicht daran in Koppenhagen auch nur den kleinsten Schritt zu thun; es würde auch zu nichts, als zu einer noch dazu unnützen persönlichen Erniedrigung führen .
Beim Herzog von Sachsen-Gotha und Coburg bewirbt er sich um eine Stelle im Justizdienst. Wie mächtig Storm jetzt sein literarisches Vermögen empfindet, zeigt die Weise dieser Bewerbung: Endlich (ein poëtischer Schritt) habe ich bereits an den ritterlichen Herzog von Sachsen Gotha u. Coburg unmittelbar ein Schreiben aus meiner besten Feder abgehen lassen, meine patriotischen Lieder, die eben erscheinende Sammlung meiner Gedichte u »Immensee« in eleganter Ausgabe beigepackt , schreibt er an seinen Schwiegervater. Ob die literarische Beigabe zur Bewerbung klug war? Genützt hat sie jedenfalls nicht; denn
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