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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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die Novelle und spart ebenfalls nicht mit Kritik, im Gespräch mit Storm und in Fuß- und Randnoten zum Text. Ein eifersüchtiger, nicht gerade freundlicher, lehrerhafter Ton haftet ihnen an: Lebende Bilder, todte Kunst , schreibt er über das Gedruckte, und am Ende zitiert er Goethes »Katzenpastete«: Die Katze, die der Jäger schoß, / Macht nie der Koch zum Hasen . »Daraus kann nie etwas werden«, das will er dem Dichter sagen. Storm lässt sich nicht entmutigen, nimmt sich Mommsens Beanstandungen zu Herzen und schreibt die Novelle um. Jetzt erfindet er die Kapitelüberschriften, schafft damit die Psychogramme, er beachtet den Grundsatz von der »Ökonomie der Mittel« und strafft den Text. So lässt er von den beiden Harfenmädchen, auf die er schon 1832 während seiner Husumer Schulzeit im »Königlich Privilegierten Wochenblatt« gestoßen sein könnte, nur eines stehen, gleichzeitig entrümpelt er die Studentenszene im Ratskeller. Auch Reinhards Leben wird im Sinne der Novelle aufgeräumt; er ist nicht, wie in der ersten Fassung, nach der Trennung von Elisabeth verheiratet und Vater eines bald nach dem ersten Geburtstag gestorbenen Knaben, sondern Storm lässt ihn ein kinderloses, wohlgeordnetes Junggesellenleben führen.
    Tycho Mommsen hat auch Randbemerkungen zu Storm selber hinterlassen. In seinen Briefen an Bruder Theodor feuert er einige Bosheiten auf den Dichter ab. Die Brüder Mommsen standen Storm mit einer Mischung von Bewunderung und Ablehnung gegenüber. Sie schätzten den Dichter, schlugen sich dabei mit ihrer eigenen Dichter-Eifersucht herum und griffen mit ihrer überragenden Intelligenz und Bildung gern zum Oberlehrerton. Sie hatten Probleme mit Storms menschlicher Seite, mit seiner Eitelkeit, mit seinem Stil und Benehmen, besonders Frauen gegenüber.
    Dass Mommsen, wie andere, in der Novelle »Immensee« ein Gleichnis für den Untergang der schleswig-holsteinischen Erhebung gesehen hat, muss bezweifelt werden. Mommsen hatte zwar eine empfindliche Antenne für Poesie, war aber nüchtern genug, um nicht poetisch abzuheben und mit seinem politischen Urteil auf die Nase zu fallen. Entsagung war nicht die Haltung der Menschen, die erleben mussten, wie ihre Heimat Stück für Stück den Interessen der Großmächte geopfert wurde. Nachdem die Preußen abgezogen waren, nach der Tragödie von Idstedt und der sinnlosen Bombardierung von Friedrichstadt, standen die schleswig-holsteinischen Kämpfer mutlos und mit leeren Händen da. Andere standen mit geballten Fäusten in der Tasche und blickten ohnmächtig der verlorenen Sache hinterher. So blickte auch Theodor Storm und unterschrieb, zusammen mit 257 Husumer Bürgern, eine Petition, wonach Frederik/Friedrich VII. von Dänemark die Herzogkrone aberkannt werden sollte, und die Personalunion mit dem uns befeindeten Dänenvolke möge für alle Zukunft aufgehoben werden . Aus der Sicht des Königs war das Anstiftung zum Hochverrat; und dieser Sicht kann man sich auch heute nicht verschließen, denn hier wurde an den Grundfesten des Gesamtstaates gerüttelt. Für Storm sollte die Unterschrift noch Folgen haben.
    Preußen und Österreich haben die Schleswig-Holsteiner im Stich gelassen aus Angst vor Russland und England und verlangen die Unterwerfung. Die Geschichtsschreibung verzeichnet das mit »Olmützer Punktation« (29. November 1850). In Husum marschieren dänische Soldaten ein, fertig zum weiteren Gefecht. Etliche Husumer Bürger sind geflohen, im Frühjahr 1851 kehren die ersten zurück, auch Soldaten der ehemaligen Schleswig-Holsteinischen Armee. Wer den König als Landesherrn anerkennt, darf unbehelligt seinen Geschäften nachgehen. Viele kommen nicht wieder, auch Tycho Mommsen nicht, er ist zu seinen Eltern nach Oldesloe gegangen. Der Kontakt mit Storm wird brieflich aufrechterhalten.
    Storm übt, wie andere zunächst auch, passiven Widerstand und schließt seine Kanzlei, um sie bald wieder zu eröffnen. Das dänische Regiment kassiert Waffen und die Fahnen der Erhebung, dann herrscht es streng, ungerecht und ungeschickt: Dänisch gesinnte Husumer verraten deutsch gesinnte Husumer. Zu Storms Vers Blütezeit der Schufte aus dem Gedicht »Ein Epilog« passt allezeit dieser Volksmund: »Der größte Schuft im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.« 290 Beamte werden ausgetauscht, 41 Prediger werden entlassen. Dänisch wird als Schulsprache eingeführt. In den Kirchen soll abwechselnd deutsch und dänisch gepredigt

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