Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Bürgern mit der militärischen Drohgebärde entgegentrat.
Als Storm sein Universitätsjahr in Berlin (1838/39) verbrachte, blies dort ein vorrevolutionärer Wind, der sogar in Potsdam Luftzug erzeugte. Die Menschen hofften auf Freiheit und Demokratie und auf einen deutschen Kaiser aus dem Hause Preußen. Storm mag diesen Wind gespürt haben. Nach der auch in Preußen niedergeschlagenen Revolution kam der politische Wind genau von der anderen Seite, und den spürte Storm, als er anderthalb Jahrzehnte später mit den Seinen das Potsdamer Exil bezog. In seiner unmittelbaren Nähe beherrschten die Kasernen das Stadtbild, und in den Kasernen herrschte der berüchtigte Kasernenhofton. 7000 Soldaten lebten damals in Potsdam, das insgesamt über 40 000 Einwohner zählte.
Das Preußen, das Storm in den fünfziger Jahren erlebte, war ein Unterdrücker-Staat. Der Adel bildete unangefochten die Spitze der Gesellschaft. Die Junker schalteten und walteten wie eh und je und waren absolute Herrscher auf ihren großen Gütern. Die Kirche saß bei Hofe fest im Sattel und ließ ihre Geistlichen in den Schulen auftreten, um bei Lehrern und Schülern die rechte christliche Art und Weise zu prüfen. Gesinnungsschnüffelei bewirkte Duckmäusertum, Verfolgung erzeugte vorauseilende Disziplin. Von Pressefreiheit keine Spur. Wie und wo konnte man ein freies Wort riskieren? Wer es doch tat, musste Vereinsamung und Drangsalierung, Maßregelung und Veröffentlichungsverbot fürchten. Das war die Berliner und Potsdamer Luft, die der freiheitsliebende, auf Eigensinn und Unabhängigkeit bedachte Dichter Theodor Storm atmete, als er im preußischen Exil Fuß fassen musste.
Freiheit des Wortes gab es, wenn auch begrenzt durch Regeln, in der Einrichtung des literarischen Salons. Dichter und Denker, Leseratten und Bücherwürmer, Leute aus der oberen Gesellschaftsschicht also, auch junge Leutnants, die damals mit Vorliebe dilettierende Dichter waren, wie Theodor Fontane über die Anfangszeit seines Vereins »Tunnel über der Spree« in seinen Erinnerungen »Von Zwanzig bis Dreißig« berichtet. Man traf sich allsonntäglich in einem von Tabaksqualm durchzogenen Kaffeelokale , Autoren lasen das Neueste aus der Manuskriptmappe, man hörte zu, man diskutierte, man stimmte über das Gehörte ab. Es gab Zensuren: »Sehr gut«, »gut«, »schlecht« und »verfehlt«. Von fünf Sachen waren immer vier verfehlt , schreibt Fontane.
Die Salons gaben dem geschriebenen Wort Raum und Zeit in einer begrenzten Öffentlichkeit und verschafften denen, die dabei waren, ihren Stolz und das erhebende Gefühl von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Träume von einer gesegneten literarischen Zukunft durften geträumt werden. Hier durften die Salonlöwen brüllen, so gut sie konnten. Schon die Salons selber, die Vereine und Clubs, übten mit ihren Organen, vor allem mit den Zeitschriften, eine vereinseigene Zensur aus. Sie achteten darauf, dass die über ihnen herrschende Gewalt nicht den Zeigefinger hob oder gar mit Schikane oder Verbot reagierte.
Die Regeln des »Tunnels« sahen für jedes Mitglied einen Decknamen vor, Fontane spricht von »Neckname« und »nom de guerre«, Kriegsname. Wer schlug welchen Decknamen vor? War das die Sache des »Hauptes«, das dem Verein vorstand? Stimmte man ab? Mit dem Decknamen saß das Mitglied nicht als »Theodor Fontane« im Salon, sondern als »Lafontaine«, und Theodor Storm tauchte dort unter als »Tannhäuser«.
Verboten im Tunnel war die politische Diskussion. Mit dem Gebot des Decknamens und dem Verbot des Politisierens konnte man einerseits gesellschaftliche Schranken beseitigen und überspielen, andererseits zeigen diese Vorbeugemaßnahmen, wie man sich arrangieren musste. Das nahm man hin, darüber redete man nicht. Das Leben im Schein der Vereinsfreiheit war amüsant und angenehm. Mit Ironie und höherem Unsinn war es vorbei, wenn der Gang nach draußen angetreten werden musste; das war wie der Schritt in vermintes Gelände, da traf einen die gesammelte Kraft des preußischen Staates, die sich in Berlin konzentrierte, da mussten die Salonlöwen das Maul halten und leisetreten.
Salonlöwe mag auf den ersten Blick auch Franz Kugler (1808–1858) alias »Lessing« gewesen sein, Professor der Kunstgeschichte und Geheimrat im preußischen Kultusministerium. Ein Mann mit Einfluss, ein Mann der Bildung, hochsensibel und nicht ohne Poeteneitelkeit. Fontane sprach von seinem »Sokrateskopf«. Kugler hat eines unserer
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