DU HÖRST VON MIR
anderen.«
José versuchte sich aufzurichten, aber als er den Kopf hob, sah ich, dass sich sein Magen zusammenkrampfte und sich seine Züge verzogen.
»Ich glaube, ich muss kotzen«, sagte er stimmlos.
Ich hob ihn hoch, legte mir seinen Arm über die Schulter und schleppte ihn so zum Rande der Wiese. Er schlotterte wie ein Kind. Ich beugte ihn nach vorne und stützte seine schweißnasse Stirn mit meiner Hand ab. Mehr bedurfte es nicht. José übergab sich mit heftigen, schwallartigen Stößen, die ihn schüttelten. Ich legte ihm mein Hemd auf den Rücken. Als ihm die Knie versagten, nahm ich ihn wieder auf den Arm und trug ihn ins Zelt.
»Ich habe alles versaut, stimmt's?«
»Rede keinen Unsinn«, lachte ich ihn an.
»Morgen wirst du mich deswegen nicht ertragen.«
»Morgen werde ich dich hundertzwanzig Mal mehr lieben als heute, du Depp.«
Ich legte ihn auf den Schlafsack und deckte ihn mit dem Daunensack zu.
»Mir ist kalt.«
»Ich weiß. Ganz ruhig. Schlaf jetzt. Ich bin gleich bei dir.«
»Warte. Gib mir einen Schluck Wasser. Mein Mund brennt wie Feuer.«
Ich wollte ihn aufstützen, aber er ließ mich nicht. Er krabbelte, wie er konnte, auf allen vieren über den Boden, bis er die Wasserflasche fand und ließ sich dort auf den Boden fallen. Ich legte ihn wieder in den Schlafsack. Ich ließ die Gaslaterne auf kleiner Flamme brennen. Dann nahm ich Alkohol und ein sauberes Taschentuch und ging zurück zum Feuer. Es war schlimmer, als ich befürchtet hatte. Es hatte mir die Haut zerfetzt, ich blutete immer noch aus mindestens zehn oder zwölf Wunden, an den anderen war das Blut schon getrocknet. Der Alkohol brannte höllisch, aber er stillte die Blutungen.
Zumindest die der Haut, sagte ich mir. Die anderen, die mein Herz ausbluten ließen, konnte ich unter keinen Umständen stillen, dessen war ich mir jetzt sicher. Ich suchte nach einer Zigarette. Ein Windstoß bereitete mir Gänsehaut auf dem Rücken, aus einer Mischung aus Kälte und Angst, aus Glückseligkeit und Durst, aus Panik und Freude. Jetzt war alles vorbei. Ich war gefangen. Endgültig gefangen. Dieser wunderschöne Junge, der sternhagelvoll da in meinem Schlafsack schlief, war mehr noch als meine Liebe, mein absoluter Besitzer. Ich konnte nichts mehr sagen und hatte nicht die geringste Kraft, irgendetwas zu machen, zu kontrollieren, zu überwachen, zu wollen. Das Bewusstsein über den furchtbaren Irrsinn der Liebe, der das Leben zerstört, verwüstet und sinnlos macht, und der zu schmerzhaftem Siechtum führte; die Sicherheit über die absolute Niederlage meines entschlossenen Willens angesichts einer Liebe, die ich schließlich nun doch gerade bekommen hatte, wurde mir in diesem Moment so richtig offenbar, so wie ich da saß, nackt, rauchend, den letzten Tanz der ausgehenden Flammen beobachtend. Tja, und was machst du nun? fragte ich mich, du bist gefangen, verloren. Ich versuchte, mich zu verteidigen: Er hat dir gesagt, er liebe dich. Das stimmte. Aber es stimmte auch, dass er gelogen hatte. Das Bild von Beatriz, wie sie sich die Haare vor ihm streichelte, im Schwimmbad; das Bild von Beatriz, wie sie ihn auf offener Straße leichthin und komplizenhaft auf den Mund küsste, vor mir, das hatte sich mir in die Erinnerung eingebrannt. Ich wies die Eingebung wütend von mir.
Das Bild von Beatriz, wie er mit ihr dieselben Liebesbewegungen machte wie mit mir gerade eben. Er steht nicht auf Jungs, hörte ich mich denken. Er hat das gemacht, weil...
Mein Wille vertrieb die Nebel der Angst... weil er dich liebt.
Er hat das getan, weil er dich liebt. Er hat es doch selbst gesagt. Dann zweifelte ich erneut. Er war betrunken. Aber die Idee, die mich retten sollte, die es mir erlauben sollte, diese Nacht schlafen zu können, bahnte sich unerschrocken ihren Weg: Er hat es dir doch gesagt. Er hat gesagt, er liebte dich.
Die Zweifel entfernten sich, fürchteten sich, flüchteten vor meiner schrecklichen Entschlossenheit, mich an seine Worte zu klammern: Er hatte mir gesagt, er liebt mich. Was wollte ich mehr? Was brauchte ich mehr, um glücklich zu sein? Ich musste glücklich sein. Und dennoch, vor meinen Augen gleichsam in den Sternenhimmel gezeichnet, glaubte ich, tanzend, die Konstellation des Todes zu erkennen.
Ich weiß nicht, wie lange diese Agonie dauerte. Ich weiß, es war weit nach Mitternacht, als ich ein Geräusch im Zelt hörte. Ich schaute mich um: José, mit zerzaustem Haar, nackt, kam torkelnd auf mich zu.
»Aber... was machst du
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