Du Mich Auch
»… mich heute Morgen anrief und von dem Erpresserbrief erzählte, bin ich sofort losgefahren. Dreihundert Kilometer Vollgas. Ich musste Sie einfach sprechen.«
»Es tut mir alles so leid«, flüsterte Katharina. »Ich wollte doch nicht …«
Amelie Hoffner hob resigniert die Hand. »Egal. Wenn Sie es nicht gewesen wären, dann eine andere. Horst war noch nie treu. Gleich nach dem ersten Kind hat er mich mit einer Wahlkampfhelferin betrogen.« Sie kämpfte mit den Tränen.
Die Arme. Evi zerfloss in Mitleid. Und hatte ehrlichen Respekt vor dieser Frau, die so aufrecht wirkte, obwohl sie unendlich verletzt sein musste. Auch Beatrice war tief betroffen. Unruhig bastelte sie an ihrem Strohhalm herum, bis sie ihn völlig zerknickt hatte.
»Konnte man schon herausfinden, was der Erpresser will?«, fragte die Frau des Familienministers.
Katharina hob die Schultern. »Ein politisches Motiv, nehme ich an. Soweit ich weiß, gibt es keine Geldforderungen.«
»Ich habe drei kleine Kinder«, schluchzte Amelie Hoffner. »Den Skandal überstehe ich nicht. Und Horst, Himmel, er könnte sich was antun. Er hat ja nichts Anständiges gelernt. War immer nur Politiker, von Anfang an.«
Wäre sie doch nur fünf Minuten früher gekommen, dachte Evi verzweifelt. Wir hätten den Brief zerrissen, und alles wäre gut. Es brach ihr das Herz, diese tapfere, schmale Frauzu sehen, die um ihre Familie bangte, um ihren Ruf, um ihre gesamte Existenz.
»Vielleicht war es nur ein schlechter Scherz«, sagte sie.
»Dann gäbe es nicht dieses Foto«, widersprach Amelie Hoffner leise. »Da hat es jemand ganz gezielt auf Horst abgesehen.«
Wohl wahr. Zerknirscht hockten die drei Freundinnen auf ihren Stühlen. Es gab nichts mehr zu sagen. Das Unheil würde seinen Lauf nehmen, und sie konnten nichts mehr dagegen unternehmen.
Amelie Hoffner erhob sich. »Danke, dass Sie mich angehört haben. Ich werde jetzt nach Hause fahren. Zu meinen Kindern.« Sie verknotete den Gürtel ihres Trenchcoats.
»Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann …« Katharina stand auf und ging auf Horsts Frau zu. »Bitte, verzeihen Sie mir. Ich bin kein schlechter Mensch. Wenn ich geahnt hätte, was für Folgen das Ganze haben könnte, nie hätte ich mich darauf eingelassen.«
Wehmütig betrachtete Amelie Hoffner ihre Nebenbuhlerin. »Verzeihen? Ach, Ihre Absolution müssen Sie sich woanders holen. Eine wie Sie hat doch alles. Sie sind intelligent. Sie haben einen tollen Job. Und Sie könnten jeden Mann kriegen. Warum musste es ausgerechnet Horst sein?«
Katharina hatte keine Antwort darauf. Auch in ihren Augen standen Tränen. Es waren Tränen bitterer Reue.
Ohne ein weiteres Wort drehte sich Amelie Hoffner um und ging. Eine Schrecksekunde starrten die drei ihr hinterher. Dann sprang Beatrice auf.
»Wir müssen uns den Brief zurückholen!«, rief sie. »Von mir aus zünden wir den verdammten Postkasten an. Das Foto darf nie in die Hände von Blumencron gelangen!«
Sie legte einen Geldschein auf den Tisch und stürmte nach draußen. Evi und Katharina liefen hinterher. Schon von weitem sahen sie den gelben Postkasten. Und einen ebenso gelben Transporter, der daneben hielt. Seelenruhig schüttete ein Mann in einer blauen Uniform die Briefe in seinen Postsack, stieg in den Transporter und fuhr davon.
Werner tat das, was er immer machte, sobald er sich in der Horizontalen befand: Er schnarchte. Die Bettdecke war von seinem unförmigen Körper gerutscht und gab den Blick auf ein grünliches Krankenhaushemd frei. Er war umgeben von pfeifenden Geräten und Infusionsvorrichtungen.
»Ich habe ihn heute Morgen operiert, er scheint stabil zu sein«, erzählte Robert. »Ist das nicht verrückt? Du wolltest Rache – und hast ihn gerettet. Ohne den Eingriff wäre es früher oder später zum Exitus gekommen. Ich habe selten einen derart drastischen Fall menschlichen Sperrmülls erlebt.«
Geistesabwesend starrte Evi auf den schnarchenden Fleischberg. Immerzu sah sie Amelie Hoffner vor sich. Die grenzenlose Traurigkeit in ihrem Gesicht. Die Angst vor der Vernichtung. Von Anfang an hatte Evi ein ungutes Gefühl bei der Sache gehabt. Und nun war die Situation so verfahren, dass es keinen Ausweg gab. Oder doch?
»Robert, mein Liebster«, sagte sie. »Ich danke dir von Herzen. Aber im Moment habe ich ein Problem, das mir über den Kopf wächst.«
Evi hatte zwar mittlerweile ihren Kittel ausgezogen, aber ihr graues Kleid und die Schlappen waren alles andere als kleidsam.
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