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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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Afrikaner.«
    »Wenn sie in Afrika wohnen, sind es doch Neger?«, beharrte Dick.
    »Neger darf man nicht sagen«, widersprach Annie. »Dann ist das wie im Tarzanfilm. Man hält sie für minderwertig. Im Film werden sie gepeitscht wie Tiere.«
    »Und dieser Junge, den du getreten hast«, sagte Dick, »der stammt doch aus Afrika, oder?«
    »Er heißt Tubal«, sagte ich.
    »Genau«, sagte Dick. »Tubal aus Afrika.«
    »Man wird kein Rassist, nur weil man sich einen alten Tarzanfilm angeschaut hat«, sagte Annie. »Wieso glauben die, dass du Rassist bist?«
    »William«, sagte ich, »der ist einer. Sie glauben, er ist mein Freund.«
    »Na, wunderbar.« Dick stöhnte. »Afrikaner und Nazis im selben Klassenzimmer, das riecht nach Zoff.«
    »Woher weißt du, dass er Nazi ist?« Annies Stimme klang misstrauisch.
    »Er ist es eben«, behauptete ich. »Sein Bruder sitzt im Gefängnis. Wir haben ihn gestern Abend im Vesuvio gesehen. Er weiß alles über die SS. Hast du ihn nicht gesehen? Groß, schwarz gekleidet, tätowiert.«
    »Was heißt SS?«, fragte Annie.
    »Hatte wohl Ausgang«, sagte Dick. »Das haben sie dauernd. Kaum sind sie eingebunkert, werden sie schon wieder rausgelassen. Wie heißt der Bruder?«
    »Rickard?«
    Dick runzelte die Stirn.
    »Doch nicht Rickard Vomer?«
    »Keine Ahnung, wie er mit Nachnamen heißt.«
    »Rickard Vomer ist ein ganz schlimmer Finger«, sagte Dick. »Ein richtiger kleiner Teufel. Was heißt klein, er war groß wieein Haus, als ich ihn zuletzt gesehen habe. Es ist ein Elend, dass sie im Knast Gewichtheben trainieren dürfen.«
    Dicks Stimme klang beleidigt.
    »Wir Polizisten haben keine Zeit, täglich mehrere Stunden Gewichtheben zu trainieren. Man sollte sie bei Wasser und Brot halten, dann würden sie zahm werden, hat mein Vater immer gesagt. So, so, Rickard Vomer ist draußen, das ist nicht gut. Das hör ich gar nicht gern.«
    »Ich versteh das nicht«, sagte Annie. »In Sundsvall war Slobodan dein bester Freund. Wie können die glauben, du seist Rassist?«
    »Wenn man einen Neger in den Rücken tritt, ist es passiert«, sagte Dick.
    »Wann kommt Mama nach Hause?«, fragte ich.
    »So, so, Rickard Vomer ist draußen«, wiederholte Dick. »Möchte wissen, ob die Kollegen informiert sind. Die erzählen uns nie, wenn sie das Ungeziefer laufen lassen.«
    Annie sah auf ihre Armbanduhr.
    »Können wir weitermachen?«
    Dick nickte.
    »Hast du noch ein Glas Wein für mich?«
    »Dann muss ich eine neue Flasche öffnen.«
    »Lass hören, was du gelernt hast«, sagte Dick.
    Annie schielte zu dem Blatt, auf das Dick Vierecke gezeichnet hatte.
    »Im Alten Testament stehen zehn Gebote. Die Gesetzgebung der Römer hat die Entwicklung der Gesetze in ganz Europa beeinflusst. In Skandinavien führte der Brauch, Ting abzuhalten, zu Landschaftsgesetzen. Heute haben wir ein Gesetzbuch und Gesetzesblätter. Die Gesetze werden in Schweden vom Reichstag erlassen.«
    Annie verstummte. Dick sah zufrieden aus.
    »Das waren wohl die wichtigsten Punkte«, stellte er fest.
    Er nahm eine Schachtel Hustenbonbons und hielt sie mir über den Tisch hin. Ich wollte nicht, Annie auch nicht. Er nahm einen Bonbon zwischen Daumen und Zeigefinger und legte ihn langsam auf die Zunge.
    »Die Erkältungssaison ist angebrochen«, bemerkte er.
    In dem Augenblick kam Mama nach Hause.
    »Hallo!«, rief sie, sobald sie zur Tür hereinkam. »Jemand zu Hause?«
    »Wir sind hier!«, antwortete Annie.
    Mama tauchte mit einer Plastiktüte vom Supermarkt in der Türöffnung auf. Sie ging hinter das Sofa, auf dem die beiden saßen, und strich Annie über die Haare, begrüßte Dick und nickte mir zu.
    »Dick hilft mir beim Thema Gesetze und Recht«, erklärte Annie. »Er hat das Gesetzbuch mitgebracht.«
    »Und Großmutters Bibel habt ihr auch vorgeholt«, sagte Mama.
    »Wir haben über Moses gesprochen«, erklärte Annie.
    Mama ließ die Hand über den Sofabezug gleiten.
    »Wie gefallen euch die Sofas?«
    Sie sah sich um und musterte unsere Gesichter, als wollte sie daraus ablesen, was wir wirklich von ihren neuen Sofas hielten.
    »Prächtig!« Dick klopfte auf das Polster, als klopfe er einem treuen Pferd den Hals, das ihn gerade über Kanadas Prärien getragen hatte.
    »Hübsch«, sagte Annie. »Der Tisch gefällt mir auch.«
    Mama sah mich an.
    »Und du?«
    »Ich hab was gefunden.«
    Und dann stellte ich den Karton mit den Fotos neben Gesetzbuch und Bibel.
    »Was kann das sein?« Dick sprach in einem Tonfall, wie Eltern reden, wenn sie

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