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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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helfen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Häppchen, Wein, Kleinigkeiten anbieten. Willst du das?«
    »Kann ich machen.«
    Mama sah nachdenklich aus.
    »Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal eine Katze haben werden. Sie kommt und geht, wie sie will, scheint sich schon ganz zu Hause zu fühlen. Was soll man da machen?«
    »Ihr einen Namen geben«, schlug ich vor.
    Mama legte den Kopf schräg. Ihr war anzusehen, dass sie nicht begeistert war von dem Gedanken.
    »Was meinst du, wie sie heißen soll?«
    »Bathseba«, sagte ich.
    »Aha«, sagte Mama. »Bathseba? Tja, warum nicht? Wie geht es mit Morgan?«
    »Wie üblich.«
    Sie sah sich um.
    »Dein Zimmer ist so leer. Und wir müssen dafür sorgen, dass du eine Lampe bekommst. Brauchst du nicht auch einen Tisch? Du kannst so einen kriegen wie Annie.«
    »Ich hol mir eine Lampe von Berger«, sagte ich.
    »Nein«, sagte Mama. »Das wirst du nicht. Du brauchst auch einen Stuhl. Möchtest du dieselbe Art Tisch und Stuhl wie Annie?«
    »Die Kellertür ist offen. Ich kann zu Berger gehen und mir eine Lampe holen.«
    Mama wurde ernst. Im Schein der Kerze sah ich, wie müde sie war. Als die Flamme flackerte, zuckten Schatten über ihr Gesicht. Sie sah ganz fremd aus, älter. Sie sah aus wie Großmutter.
    »Du darfst dort nichts wegnehmen, selbst wenn du weißt, wie man ins Haus gelangt.«
    »An seinem Bett steht eine Lampe«, sagte ich. »Frag ihn, wenn du ihn wieder besuchst.«
    Mama antwortete nicht.
    »Frag ihn.«
    »Er kann nicht mehr ins Haus zurück«, sagte Mama. »Er hatte einen Schlaganfall. In Zukunft kommt er nicht mehr allein zurecht.«
    »Frag ihn, ob ich mir seine Nachttischleuchte nehmen darf.«
    »Er scheint auf Deutsch zu denken«, sagte Mama. »Ein Arzt hat mir erklärt, was das Wort bedeutete, auf dessen Buchstaben er gezeigt hat. Tochter .«
    »Ich bin sein Enkel. Er hat sicher nichts dagegen, wenn ich seine Lampe benutze. Er will bestimmt, dass es in meinem Leben hell ist.«
    »Wie geht es deiner Nase?«, fragte Mama.
    »Morgen hole ich die Lampe.«
    Mama stand auf.
    »Vergiss nicht, dass ich spät nach Hause komme. Im Kühlschrank sind Fleischklößchen. Du kannst dir ja Nudeln dazu machen oder Kartoffeln braten.«
    »Ich kann keine Fleischklößchen mehr sehen.«
    »Dann kauf dir was anderes«, schlug Mama vor. »In der Schale liegt Geld.«
    An der Tür blieb sie stehen und betrachtete van Gogh.
    »Er sieht gruselig aus. Kannst du den nicht abnehmen?«
    »Er ist mein Kumpel«, sagte ich, »wir tauschen Gedanken aus.«
    »Gute Nacht«, sagte Mama. »Vergiss nicht, die Kerze auszupusten.«
    Als sie die Tür geschlossen hatte, holte ich die norwegische Rechnung mit dem Kussmund und klebte sie mit Tape auf die Umschlaginnenseite meines Lieblingsbuches.
    Sobald ich die Augen schloss, sah ich Tubal auf mich zukommen.Ich sah sein Gesicht, dann seinen Rücken. Ich spürte, wie mein Fuß ihn traf, und ich sah, wie er fiel. Alles fing von vorn an, wieder und wieder, sobald ich die Augen schloss.
    Ich konnte nicht einschlafen und las weiter. Ich hatte schon immer die Gabe, in eine Geschichte einzutauchen. Das ist, als würde sie sich in eine ganze Welt verwandeln, durch die ich spazieren kann. Wenn Huck auf dem Rücken in dem Kanu liegt und sich den Fluss hinuntertreiben lässt, habe ich das Gefühl, ich liege dort. Ich bin es, der die Pfeife anzündet und an Stegen vorbeigleitet, auf denen Männer sitzen und sich unterhalten. Ich spüre die nächtliche Kälte und die Düfte eines fremden Flusses in einem fremden Land. Ich spüre, was es für ein Gefühl ist, ein fremder Mensch im Körper eines anderen zu sein.
    Allmählich schlief ich ein, aber ich glaube, ich schlief nicht lange. Ich erwachte aus einem Albtraum.
    Im Traum war ich in Bergers Dunkelkammer und wusste, dass draußen im Keller jemand war, der mir Böses wollte. Ich hatte große Angst, jeden Moment konnte die Tür hinter mir aufgehen und jemand hereinkommen.
    Dann öffnete sich die Tür, langsam. Ich glaube, ich weinte. Etwas schob sich langsam durch den Türspalt. Es war die kleine Axt mit der Scoutlilie am Stiel. Ich wusste, jetzt, genau in diesem Moment, werde ich erschlagen.

    Als ich aufwachte, war die Kerze heruntergebrannt. Ich konnte nur noch Streichhölzer anzünden. Nach einer Weile hatte ich keine mehr.
    Erst als das Morgenlicht zum Fenster hereinsickerte, schlief ich wieder ein.
    Da hatte es schon angefangen zu regnen.
    Als Mama mich weckte, war ich tief in einem Traum. Ich lag neben einer

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