Du musst die Wahrheit sagen
der Polizist, »ist dies in erster Linie kein Fall für die Polizei. Da jedoch eine Schusswaffe benutzt wurde, möchte ich dir einige Fragen stellen. Auf einen Menschen mit einer Waffe zu schießen ist immer eine ernste Angelegenheit.«
Er starrte mich über die Brillengläser hinweg an.
Dann wandte er sich an Mama. Sie war grau im Gesicht und trug verschlissene Jeans mit Farbflecken. Auch an ihren Händen und auf dem Pullover waren Farbflecken.
»Jetzt lassen wir Tom seine Geschichte erzählen«, sagte der Polizist zu Mama. »Als Mutter des Jungen haben Sie das Recht, anwesend zu sein, jedoch kein Recht, sich an dem Gespräch zu beteiligen.«
Mama nickte.
Der Polizist sah wieder mich an.
»Und jetzt erzähle bitte, was passiert ist.«
Ich begann meinen Bericht damit, wie ich aufgewacht war und Annie hatte rufen hören.
Als ich fertig war, kontrollierte der Polizist das Tonbandgerät, und es stellte sich heraus, dass es nicht funktioniert hatte. Ich musste die ganze Geschichte noch einmal von vorn erzählen.
»Und die Waffe, woher hast du die?«
Ich erzählte von Bergers Hass auf Katzen und wie er mir das Schießen beigebracht hatte, wie er ins Krankenhaus gekommen war und ich das Gewehr an mich genommen und in meine Kommode gelegt hatte.
»Wozu wolltest du es haben?«, fragte der Polizist und strich sich mit zwei Fingern über den Bart. Er sah aus wie der Weihnachtsmann.
»Weiß ich nicht«, sagte ich.
Er schien mir nicht zu glauben.
»Wusstest du nicht doch, wozu du es haben wolltest?«
»Nein«, sagte ich. »Ich wusste es nicht.«
Der Polizist sah mich skeptisch an.
»Wenn man ein Gewehr stiehlt, hat man doch einen Hintergedanken? Glaubst du nicht?«
»Ich hatte keinen«, sagte ich.
»Wozu wolltest du es haben?«, bohrte er nach. »Wozu wolltest du das Gewehr benutzen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich.
Und das war die Wahrheit.
Einige Tage später musste ich zum Vertreter des Sozialamtes. Der Mann hatte gut frisierte schwarze Haare, trug ein ordentlich gebügeltes Hemd und hatte dunkle, warme Augen. Er hießHamid. Er wollte, dass ich ihm die Geschichte erzählte, und ich erzählte ihm dasselbe wie dem Polizisten.
Hamid blätterte in Papieren.
»Ich habe mit deiner Schule gesprochen, mit der in Sundsvall und deiner neuen. In Sundsvall sagen sie, dass du ein anständiger Junge bist, der in der Schulmannschaft schwimmt und seine Aufgaben macht. Es hat zwar einige unerlaubte Abwesenheiten gegeben, aber im Ganzen bist du ein guter und pflichtbewusster Schüler. Hier haben sie gesagt, dass du in eine Prügelei verwickelt warst, dass du bedroht wurdest und dass du dich für den Deutschunterricht angemeldet hast, aber nicht erschienen bist. Man bekommt den Eindruck, dass man es mit zwei verschiedenen Jungen zu tun hat, Tom in Sundsvall und Tom hier.«
Er sah mich lange an, als erwarte er, dass ich etwas sagte.
Ich schwieg.
»Hast du dich seit dem Umzug verändert?«, fragte er.
»Nein.«
Er nickte und warf einen Blick auf ein Blatt Papier.
»Der dritte Schuss hat das Brustbein getroffen, dort ist die Kugel stecken geblieben. Der Schuss in den Oberschenkel hat eine oberflächliche Fleischwunde verursacht, und der Schuss in die Hand wird dazu führen, dass Bengtsson in Zukunft Schwierigkeiten haben wird, zwei Finger zu bewegen. Er wird nächste Woche aus dem Krankenhaus entlassen.«
Dann schwieg er, während er blätterte und einige andere Papiere überflog. Draußen ging die Alarmanlage in einem Auto los.
Er schaute auf.
»Wenn du eine stärkere Waffe gehabt hättest, hätte Bengtsson kaum überlebt. Was denkst du darüber?«
»Nichts.«
Hamid seufzte.
»Was fühlst du, wenn du dir vorstellst, dass du Bengtssons Tod hättest verursachen können?«
»Nichts Besonderes.«
Hamid notierte etwas auf einem Block. Dann suchte er meinen Blick.
»Ich habe mit deiner Mutter gesprochen. Sie wird dir einen Psychotherapeuten besorgen.«
»Was ist das?«
»Jemand, mit dem du reden kannst.«
»Worüber?«
»Worüber du willst«, sagte Hamid.
Die Alarmanlage auf der Straße war verstummt.
Die Psychotherapeutin hieß Ester Grip und hatte ihre Praxis am Odenplan. Sie reichte mir kaum bis zum Kinn, war mager, grauhaarig und hatte kluge Augen. Ich ging zweimal in der Woche zu ihr. Gleich beim ersten Mal wollte sie, dass ich einen Psychiater aufsuche.
»Was ist ein Psychiater?«, fragte ich.
»Es ist ein Arzt, der dir Medikamente verschreiben kann. Das kann ich nicht. Ich bin
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