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Du oder das ganze Leben

Titel: Du oder das ganze Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Elkeles
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meines ersten Jahres als Latino Blood habe ich mir in einem Kampf mit einer rivalisierenden Gang meine Postition erstritten.
    Als kleiner Junge habe ich gedacht, ich könnte die Welt retten – oder zumindest meine Familie. Ich werde niemals Mitglied einer Gang, habe ich mir gesagt, als ich alt genug war mir
die Frage zu stellen. Ich beschütze meine Familie mit meinen zwei Händen. Auf der Southside von Fairfield bist du entweder in einer Gang oder gegen sie. Damals habe ich von einer Zukunft geträumt. Es waren illusorische Träume, die davon handelten, dass ich mich von den Gangs fernhalten und trotzdem meine Familie beschützen könnte. Aber diese Träume starben zusammen mit meiner Zukunft in der Nacht, in der mein Vater vor meinen sechsjährigen Augen erschossen wurde.
    Als ich über seinem Körper stand, war alles, was ich sehen konnte, dieser rote Fleck, der sich auf seinem T-Shirt ausbreitete. Er erinnerte mich an den kleinen schwarzen Kreis im Innern einer Zielscheibe, nur dass er immer weiterwuchs. Dann keuchte mein Vater plötzlich und das war’s.
    Mi papá war tot.
    Ich habe ihn nicht berührt oder gehalten. Ich hatte zu viel Angst. In den Tagen danach sprach ich kein Wort. Sogar, als die Polizei mich befragte, brachte ich keinen Ton heraus. Sie sagten, ich stünde unter Schock und mein Gehirn hätte noch keinen Weg gefunden, zu verarbeiten, was passiert sei. Sie hatten recht. Ich kann mich noch nicht mal daran erinnern, wie der Kerl aussah, der ihn erschossen hat. Bis heute habe ich meinen Vater nicht rächen können, obwohl ich die Schießerei jeden Abend aufs Neue in meinem Kopf abspulen lasse. Ich versuche, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Wenn ich mich doch nur erinnern könnte, dann müsste der Dreckskerl bezahlen.
    Meine Erinnerung an den heutigen Tag ist dagegen einwandfrei. Von Brittany versetzt, von ihrer Mutter wie Abschaum behandelt … Dinge, die ich vergessen möchte, brennen sich unauslöschlich in mein Hirn.
    Paco stürzt das halbe Bier in einem Zug hinunter, ohne sich darum zu scheren, dass es an seinen Mundwinkeln entlangläuft
und auf sein Shirt tropft. Als Javier sich den anderen Jungs zuwendet, sagt mein bester Freund zu mir: »Carmen hat dich total kaputt gemacht, weißt du.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Du traust den Weibern nicht mehr. Brittany Ellis, zum Beispiel …«
    Ich fluche vor mich hin. »Paco, ich hab’s mir anders überlegt, wirf mir das Corona rüber.« Nachdem ich das Bier gefangen habe, leere ich es in einem Zug und schmettere die leere Dose gegen die Wand.
    »Du willst das nicht hören, Alex. Aber du wirst es dir anhören müssen, egal ob du betrunken bist oder nicht. Deine Knutschflecke produzierende, sexy Latina-Ex-Freundin mit dem losen Mundwerk hat dich nach Strich und Faden betrogen. Deshalb rächst du dich jetzt, indem du Brittany abzockst.«
    Ich höre Paco widerwillig zu, während ich mir ein weiteres Bier greife. »Du glaubst, die Wette ist ein Racheakt?«
    »Ja. Aber das Ganze wird gewaltig nach hinten losgehen, weil du das Mädchen gernhast. Gib es zu.«
    Ich will es aber nicht zugeben. »Ich will sie nur wegen der Wette.«
    Paco wird von Lachsalven geschüttelt. Er stolpert und findet sich schließlich auf dem Boden des Lagerhauses wieder. Mit dem Bier, das er noch immer in der Hand hält, zeigt er auf mich. »Du, mein Freund, bist so gut darin, dich selbst zu belügen, dass du schon anfängst, den Mist zu glauben, der aus deinem Mund quillt. Diese beiden Bräute sind wie Tag und Nacht, Mann.«
    Ich schnappe mir das nächste Bier. Während ich die Dose öffne, denke ich über die Unterschiede zwischen Carmen und Brittany nach. Carmen hat sexy mysteriöse, dunkle Augen. Brittany hat unschuldig wirkende hellblaue Augen, durch die man
praktisch bis auf den Grund ihrer Seele blicken kann. Werden sie auch so gucken, wenn wir Liebe machen?
    Scheiße. Liebe machen? Was zum Teufel hat mich geritten, an Brittany und Liebe in einem Atemzug zu denken? Ich verliere ernsthaft den Verstand.
    Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit, so viel Bier wie möglich in mich hineinzuschütten. Es fühlt sich gut an, nicht an … gar nichts zu denken.
    Eine weibliche Stimme durchdringt die Watte, die mich umhüllt. »Fahren wir zum Feiern nach Danwood Beach?«, fragt sie.
    Ich starre in Schokoladenaugen. Auch wenn mein Hirn benebelt ist und mein Kopf sich dreht, bin ich noch in der Lage zu erkennen, dass Schokoladenbraun das Gegenteil von Blau ist. Ich will kein

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