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Du oder das ganze Leben

Titel: Du oder das ganze Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Elkeles
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sagen, dass es nicht die Ohrringe sind, die ich mir wünsche. Ich liebe das Armband über alles und trage es ständig. Aber was mich umgehauen hat, war nicht das Geschenk. Es war, dass Colin sich eine irre Mühe gegeben hat, den Tag zu planen und ihn zu etwas Besonderem für uns zu machen. Daran erinnere ich mich, wenn ich das Armband ansehe. Nicht an das Geschenk, sondern an seine Bedeutung. Seit die Schule wieder angefangen hat, habe ich nur wenig von diesem Colin zu Gesicht bekommen.
    Die teuren Ohrringe wären ein Symbol für Colins mieses Verhalten und würden mich immer an den heutigen Abend erinnern. Sie könnten auch das Gefühl in mir wecken, mich in seiner Schuld zu fühlen und ihm etwas zurückgeben zu müssen … meine Jungfräulichkeit. Es ist ihm vielleicht nicht bewusst, aber allein die Tatsache, dass mir der Gedanke gekommen ist, ist ein Zeichen. Ich brauche diese Art Druck nicht. »Colin, ich möchte die Ohrringe nicht.«
    »Was willst du dann? Sag es mir.«
    Ich brauche eine Weile, um darauf zu antworten. Vor sechs Monaten hätte ich einen hundertseitigen Essay darüber schreiben können, was ich im Leben will. Doch seit die Schule begonnen
hat, ist alles anders geworden. »Im Moment weiß ich nicht, was ich will.« Ich fühle mich mies, als ich das sage, aber es ist die Wahrheit.
    »Weihst du mich ein, wenn du es herausgefunden hast?«
    Ja, falls ich es je herausfinde.

28
    Alex
    Am Montag versuche ich meine Vorfreude auf den Chemieunterricht nicht überzubewerten. Es ist ganz bestimmt nicht Mrs P., die ich dermaßen vermisst habe. Es ist Brittany.
    Sie kommt zu spät.
    »Hallo«, begrüße ich sie.
    »Hallo«, murmelt sie. Kein Lächeln, keine strahlenden Augen. Irgendetwas bereitet ihr Sorgen.
    »So, meine Lieben«, sagt Mrs P., »holt eure Stifte heraus. Wir wollen doch mal sehen, wie viel ihr gelernt habt.«
    Im Stillen verfluche ich Mrs P., dass sie keinen Labortag mit Experimenten angesetzt hat, denn dann hätten wir reden können. Ein kurzer Seitenblick auf meine Partnerin verrät mir, dass sie der Test vollkommen unvorbereitet trifft. Ich habe das Gefühl, sie beschützen zu müssen, auch wenn ich dazu kein Recht habe und hebe die Hand.
    »Ich habe Angst, dir das Wort zu erteilen, Alex«, sagt Mrs P. mit strengem Blick.
    »Es ist nur eine ganz harmlose Frage.«
    »Dann raus damit. Aber fass dich kurz.«
    »Dürfen wir unsere Bücher zu Rate ziehen?«
    Die Augen meiner Lehrerin blitzen mich über den Rand ihrer Brillengläser hinweg wütend an. »Nein, Alex, das dürft ihr nicht. Und wenn du nicht gelernt hast, wird unter deinem
Test ein dickes, fettes D prangen. Haben wir uns verstanden?«
    Ich lasse meine Bücher als Antwort mit einem lauten Knall auf den Boden fallen.
    Nachdem Mrs P. den Test ausgeteilt hat, lese ich die erste Frage. Die Dichte von Al (Aluminium) ist 2,7 g/cm 3 . Welches Volumen haben 10,5 Gramm Al (Aluminium)?
    Ich berechne die Antwort und gucke zu Brittany rüber. Sie starrt mit leerem Blick auf den Test vor sich.
    Als sie bemerkt, dass ich sie ansehe, schnaubt sie. »Was ist?«
    »Nichts. Nada .«
    »Dann hör auf, mich anzustarren.«
    Mrs P. beobachtet uns genau. Ich atme tief durch, um mich abzuregen, und bearbeite weiter meinen Test. Muss Brittany so unberechenbar sein und ohne Vorwarnung zwischen heiß und kalt wechseln? Was ist der Grund dafür?
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie meine Chemiepartnerin sich den Toilettenpass von seinem Haken neben der Zimmertür nimmt. Das Problem dabei ist, der Toilettenpass hilft einem nicht dabei, vor dem Leben davonzulaufen. Es ist immer noch da und wartet auf einen, wenn man von der Toilette zurückkommt. Glaubt mir, ich habe es versucht. Probleme und Mist lösen sich nicht in Luft auf, während man sich auf dem Klo verkriecht.
    Zurück im Klassenzimmer legt Brittany ihren Kopf auf die Tischplatte, während sie die Antworten kritzelt. Ein kurzer Blick genügt und ich weiß, dass sie nicht bei der Sache ist, das Mädchen gibt sich keine große Mühe. Und als Mrs P. allen befiehlt, ihre Blätter abzugeben, ist der Gesichtsausdruck meiner Chemiepartnerin vollkommen ausdruckslos.
    »Wenn es dir hilft«, sage ich so leise, dass nur Brittany mich hören kann, »ich bin in der Achten in Gesundheitserziehung
durchgefallen, weil ich der Übungspuppe eine angezündete Zigarette in den Mund gesteckt habe.«
    Ohne hochzusehen sagt sie: »Schön für dich.«
    Musik dringt aus den Lautsprechern und zeigt das Ende der Stunde an. Ich

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