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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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fragte ich mit sehr freundlicher Stimme und ohne Hohn.
    »Diesmal noch Shakespeare, aber im nächsten Jahr soll garantiert ein Moderner dran sein. Und da wird die Wahl eindeutig ausfallen.« Marvie griff nach Wurstens Hand, tätschelte sie und sah ihn an: Mit entschlossener Bewunderung und einer für meine Begriffe peinlich zur Schau gestellten Ergebenheit. Wurst tätschelte retour, um dann tatsächlich zu sagen: »Von Zeit zu Zeit ist es für Dramatiker ganz lehrreich, wenn sie ihre Werke in einer Aufführung durch Anfänger oder Laien sehen – das schärft noch einmal den Blick für das Stück. Dilettantismus ist wie ein Art Lackmuspapier.«
    Betretenes Schweigen. Die offene Geringschätzung ihres Tuns ließ Marvie zu Boden blicken. Katharina und Laura bekamen den förmlichen Gesichtsausdruck von Gastgebern, die sich um des lieben Gästefriedens willen
am Riemen reißen. Ritchie atmete seufzend. »Aha!«, sagte Mendelssohn gezwungen harmlos. Ich hatte das Gefühl, Marvie zu Hilfe eilen zu müssen. Jemand musste jetzt sofort ihre Ehre retten! Also mischte ich mich höflich ein – zwar nicht recht überzeugt von meinem Standpunkt, aber immerhin musste doch jemand dagegenhalten!
    »Ist es nicht eher so, dass ein starkes Stück, ein Stück ohne jegliche Schwachstellen, die Darstellung durch ›Laien‹ nicht nur besonders gut aushält, sondern diese ›Laien‹ sogar über ihre – eventuellen – Unzulänglichkeiten hinwegträgt? Während ein schwaches Stück das bleibt, was es ist: nämlich ein schwaches Stück? Egal, von wem es gespielt wird?« Ich war ganz erschöpft von meinem Bandwurmsatz und hoffte, dass ich dessen Anfang auch irgendwie logisch zum Schluss geführt hatte. »Eventuelle Unzulänglichkeiten« – wo hatte ich jetzt das her? Aus welchem Sprachcontainer hatte ich diesen Unfug gezogen? Was sollte Marvie denken? Ich lauschte mir noch selbst etwas nach und merkte erst allmählich, dass der Wurstmann mich – zum ersten Mal an diesem Abend – ansah. In seinen Augen schwamm nicht nur der Alkohol, den er bis vor kurzem verdrückt haben musste, sondern noch etwas anderes: eine Wut. Und zwar keine leichte Wut oder eine wütende Verstimmung oder etwas in dieser Preislage, nein: Es handelte sich hier um eine Wut ohne Wenn und Aber, eine derart konsequente Wut, dass es mich in diesem Moment auch nicht gewundert hätte, wenn er sich auf mich gestürzt und mich nach allen Regeln der Kunst vertrimmt hätte. Und ich bekam tatsächlich umgehend Angst vor ihm.

    Marvie drückte noch entschlossener seine Hand. Und Mendelssohn, ohne durch den mörderischen Blick von Wurst vorgewarnt zu sein, legte unschuldig nach: »Das sehe ich auch so.«
    Wurst sah weiterhin mich an. Durchdringend, durchbohrend. Ich hätte meinen Hintern darauf verwettet: Er sah mich in Tötungsabsicht an. Dann ruckelte er sich auf dem Bänkchen zurecht und fragte mit seiner verknödelten Stimme: »Wie sieht das denn mit DEINEN Theaterstücken aus?«
    Ich (unschuldig): »Ich, äh, ich schreibe keine Theaterstücke.«
    Wurst (aggressiv): »Ach nein? Woher kennst du dich dann so gut aus mit Theaterstücken?«
    Ich (noch immer voll auf unschuldig): »Man muss doch nicht selbst Theaterstücke schreiben, um sich eine Meinung über sie bilden zu können.«
    Wurst (wütender, abfällig): »Meinung! Ja, Hinz und Kunz bilden sich heute eine Meinung! Meinung ist für alle da! Selbst wenn du nichts hast – kein Talent, kein Können – MEINUNG geht immer! Und am allerliebsten ist mir die (er sprach das Wort aus wie hingespuckt) MEINUNG über QUALITÄT! Aah! (Jetzt räkelte er seinen Wanst auf dem Bänkchen herum, um so etwas wie ›Wohligkeit‹ anzutäuschen): AAAH! Es geht doch nichts über die MEINUNG von Leuten, die selbst noch nie einen geraden Satz geschrieben haben! In solchen Kreisen fühl′ ich mich erst richtig wohl!«
    Marvie sah mich an, soweit es ihr gesenkter Kopf zuließ.
In ihrem Blick lag etwas, das mich vermutlich beruhigen beziehungsweise zum Schweigen bringen sollte. Nichts Feindseliges, nur etwas um Ruhe und Harmonie Bemühtes. Katharina mischte sich ein: »Du kannst es drehen und wenden, wie du willst. Aber Kunst wird IMMER eine Geschmacksache sein! Und deshalb wirst du damit leben müssen, dass es Leute gibt, die DEINE Kunst nicht mögen.«
    Laura schob hinterher: »Das ist nun mal die Natur der Dinge: Alle Einschätzung von Kunst ist subjektiv. Und somit ist auch nichts davon verboten oder falsch.«
    Der Wurstmann reagierte

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