Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
dahinter. Aber als Erstes müssen wir Marvie aus seinen Fängen befreien.«
»Hast du einen Plan?«
Ich hatte keinen Plan. Außer, die Wurst zu jagen, zu erlegen und auszubeinen.
Und zu allen möglichen und unmöglichen Kämpfen entschlossen, radelte ich nach Hause. Und rief Cromwell an. Und erzählte ihm alles haarklein.
Kapitel 4
präsentiert eine nackige Marvie
und einen darob schmählich
verschreckten Schlomo.
A m nächsten Morgen war wieder alles klamm. Draußen nieselte es, der Himmel hing tief und grau, und meine Bettdecke lastete schwer und nass. Während ich die Augen öffnete, sank meine Körpertemperatur im Sekundentakt. Der nasse Schlafanzug sog sämtliche Wärme in sich auf. Ich lag schlotternd. Verzweiflung kam auf. Kopfschmerz kam hinzu. Wenn ich nicht in kalter Einsamkeit sterben wollte, müsste ich mein Leben unverzüglich ändern. Unter der heißen Dusche fasste ich den Entschluss, noch heute die Pirsch auf Marvie zu eröffnen. Zu lange hatte ich mich treiben lassen. Es eilte.
A uch Mendelssohn war schlechter Laune. Zeternd saß er an seinem Computer und ließ sich von der unanständigen Metallstimme Rechnungen vorlesen. »Erbarmen!«, pfiff es aus meinem Freund, während ich seine Überweisungen ausfüllte, die er krakelig unterschrieb. Dann machte er sich mit der Tasche voller Briefumschläge auf den Weg zum nächsten Briefkasten. Seine Schritte entfernten sich, das wütende Klacken seines Stocks wurde leiser. Die Stille des Hauses ließ mich in einen Zustand der Trauer sacken. Ich schlich in die Küche, sah durch die Fasern des Nieselregens auf die Gartenmauer, sah in die grauen Wolken, und dann gab mir irgendetwas, irgendeine dritte Person, irgendein Fremder einen Ruck. Und ich ging – ohne zu wissen, was ich im Schilde führte – wie ferngesteuert zum Haus der Lövenichs. Irgendetwas musste sich jetzt ergeben. Oder gar nichts würde sich ergeben. So oder so: Mit mir ging es zu Ende.
Ich klingelte, der Gong ertönte, und nichts passierte. Ich drehte ab, der Regen wurde stärker, träufelte heftig in meine Augen und verwischte mir die Sicht. In diesem Moment kam mir Marvie auf ihrem Fahrrad entgegen. Sie stieg ab und sah aus, als hätte der Himmel nur für sie einen grauen Extra-Ballon voller Wasser und schlechter Laune bereit gestellt. Das Haar hing strähnig in ihr nasses Gesicht, ihre Jeans trieften, ein brauner Pullover hing dunkel und schwer über ihren schmalen, gebeugten Schultern. Sie blinzelte eine Weile, bis sie mich endlich erkannte. »Ach«, sagte sie leise, wie kraftlos. Mein Hirn stellte sofort schwache Bemühungen an, dieses kleine »Ach« sinnvoll zu
interpretieren: Handelte es sich hier um ein eher genervtes Ach? Ein erfreutes? Dann wurde mir klar, dass es nach diesem »Ach« ja nun an mir war, etwas zu erklären. Warum ich hier vor ihrer Tür herumlungerte, zum Beispiel. Einen Moment lang standen wir uns nur schweigend und über die Nasen tropfend gegenüber, dann schloss sie die Haustür auf, ließ sie weit geöffnet stehen und verschwand in der Halle. Nun wusste mein Hirn gar nicht mehr weiter: Sollte ich ihr folgen? Oder die Haustür schließen und weinend zurück zu Mendelssohn gehen? Der unbekannte Dritte, der mich hierher geschickt hatte, gab mir einen Stoß in den Rücken und ich trat ein und schloss hinter mir die Tür. Dann wartete ich einfach ab. Wie gesagt: Irgendetwas müsste sich ergeben.
Marvie lehnte an einem der restaurierten Möbel, streifte die nassen Turnschuhe von den Füßen und schleuderte sie ins Ungefähre. Sie strich sich die Strähnen aus dem Gesicht und sah mich an. Ich sah zurück. Einfach so und – meiner Einschätzung nach – etwa so ausdrucksvoll wie eine Kuh. Marvie machte eine winkende Handbewegung und ging die Treppe hinauf. Ich folgte dem Winken. Marvie stand in einem Raum, der eventuell ihr Zimmer war; mein Hirn hatte inzwischen jegliches Analysieren und Vermuten aufgegeben. Sie öffnete eine Schranktür, warf mir ein vermutlich grünes Handtuch zu und begann, sich selbst mit einer Art Strandlaken voller gelber Sonnen abzurubbeln. Ich legte das grüne Handtuch auf meinen Kopf und frottierte mechanisch. Als Marvie begann, sich auszuziehen, zog ich das Tuch bis über meine
Augen und blieb reglos stehen. Wie eine verhüllte Skulptur. Ich hörte es rascheln, die Schranktür wurde zugeworfen und nackte Füße tappten über Parkett. Marvie blieb vor mir stehen, zog mir das grüne Handtuch vom Kopf, lächelte mich allerliebst
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