Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
Größenordnung »11. September« handeln musste. »Vielleicht wollen sie um Mitternacht eine Cessna in den Michel fliegen lassen?«, schlug Cromwell vor. »Oder eine Airbus bei Airbus rein?«
»Und von unserer geplanten Posse ist auch keine Rede mehr«, verriet uns Mendelssohn von seinem Horchposten. Aus Langeweile zogen wir in Betracht, Mendelssohns Gartenmauer zu verschönern. Um ihr ein bisschen Weltflair zu verleihen, könnte man doch erst das Graffiti »Die Mauer muss weg!« draufsprühen und dann einen hübschen Todesstreifen zurechtharken. Doch auch Cromwells Vorschlag, als Krönung einen ausgestopften Schäferhund dazuzustellen, wurde von Mendelssohn abgelehnt: »Ihr seid doch bekloppt.«
Und genau so fühlte ich mich auch: Marvie hatte ich jetzt so lange nicht mehr gesehen, dass mir das Hirn vor Entzug in der Schale kreiste und in meiner Brust sich ein wiederkehrender stechender Schmerz einstellte. Aber das konnte natürlich genauso gut ein Ausläufer meiner Krebskrankheit sein. Da ich zusätzlich zu den nächtlichen Schweißbädern auch noch überraschend ein Viertel Kilo abgenommen hatte, war ich mir nun auch ohne CT und MRT meiner Sache völlig sicher: Es konnte sich nur noch um Monate handeln. Ich machte mir eine Liste der zu erledigenden
Formalitäten. Da müsste ein Testament geschrieben werden, und auch ein paar wirkungsvolle letzte Worte wollen ja bedacht sein. Auch überlegte ich jeden Abend vor dem Einschlafen hin und her, ob ich mich wohl von jedem meiner Lieben persönlich verabschieden sollte oder ob es eine Rundmail täte oder wie oder was. Allein an den Zeilen für Marvie knabberte ich nun schon seit mehreren Abenden:
Liebste Marvie … zwar war es uns nie vergönnt … quatsch! Zu förmlich! Meine liebe Marvie! Der Moment, da Du und ich – beide regennass & schlechter Laune … Blödsinn. Meine Liebe! Wenn ich könnte, wie ich wollte – Moment mal! Ich KÖNNTE doch, wie ich wollte! Ich hab doch nix mehr zu verlieren! Ja, was WÜRDE ich denn, wenn ich könnte, wie ich wollte? Nochmal alles auf null: Geliebte Marvie. Du Feuer meiner Lenden. Du Elfe meines Lebens. Du elfst durch meine kranke Brust, seit ich Dich Elfe zum ersten Mal gesehen habe (da am Gartenzaun, morgens. Remember?) Ja, seitdem bin ich nicht mehr derselbe. Bzw. ein anderer. Ich Wurm. Ich Grottenolm. Ich Nichtswürdiger. Sei DU meine – tja, was denn bloß? »Prinzessin«, harhar! Prinzessin klingt ja nun wahrlich abgelatscht bis zum Dorthinaus! Da kann ich ja gleich »hochachtungsvoll« dazuschreiben! Wie schreibt man denn heutzutage einen flammenden Liebesbrief, ohne dabei schnöde zu werden? Liebe Marvie-Maus, machen wir es kurz: Ick liebe Dir. Du mir auch? Bitte ankreuzen: Ja – Nein – Ein bisschen –.
Ich kam einfach nicht weiter. Mendelssohn konnte ich
nicht um Hilfe bitten, denn ihm waren frauenverherrlichende Vokabeln fremd. Und dem Nebenbuhler Cromwell konnte ich nicht über den Weg trauen. Außerdem war hinter der Mauer nicht herauszukriegen, wie oder ob es überhaupt mit dem Wurstmann weitergegangen war. Jedenfalls tauchte er nicht mehr auf, weder tatsächlich noch im Gespräch. Vielleicht war er ja endlich explodiert?
I ch wedelte mir mit der lövenichschen Einladungskarte Luft zu: »Frage Nummer eins: Wie ist der Dresscode? Fein? Sehr fein? Oder salopp?« Nach dem Aufwand zu schließen, den unsere Nachbarn da hinter der Mauer anstellten, schien die Chose mindestens auf Frack und Smoking hinauszulaufen. Wir passten Katharina am Tor ab und baten um Auskunft. »So feierlich wie möglich«, sagte sie milde lächelnd und ließ uns mit dieser kryptischen Antwort ratlos zurück. Mendelssohn schlug vor, dass wir erst aus dem sicheren Hinterhalt die anderen Gäste beim Auflaufen begutachten sollten, um uns dann dementsprechend zu kleiden. »Papperlapapp!«, sagte Cromwell. »Ich lege meinen leichten Jagdanzug an.« Er grinste mich siegessicher an: »Und du? Die kleine Loser-Kombi?« Ich beschloss, ihn eventuell aus meinem Testament zu streichen.
Der Tag der lövenichschen Feier fiel ins Wasser. Gegen Mittag begannen struwwelige Regenfäden zu fallen, und zum offiziellen Start der Party um achtzehn Uhr stand der Himmel auf Dauernieseln. Die nass glänzende Straße wurde langsam zugeparkt und allerlei festlich gekleidetes Volk eilte ins Nachbarhaus. Aus unerfindlichen Gründen
überkam mich ein grausiges Lampenfieber. Was sollte das jetzt? Ich war doch nur ein Gast unter vielen! Und musste noch nicht
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