Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Er hatte sich erhoben und stand in seinen schwarzen
Klamotten vor dem Nachthimmel wie ein pöbelndes Fanal. In dem Moment, da er auf Marvie zuging, zuckte diese erneut zusammen. Sie duckte sich erschrocken, und das war der Augenblick, wo Cromwell und ich aufstanden. Katharina ging zu Marvie, umarmte sie und behielt dabei die Wurst im Blick. Es war insgesamt die Szene aus einer Posse, wie wir sie für das Gartenfest nicht besser hätten erfinden können: die Schwestern und daneben – wie ein durchgeknalltes Paar vom Personenschutz – Cromwell und ich in unseren irren Gewändern. Ein aufgebrachter Bischof und sein Adlatus. Beide bereit zum christlichen Einsatz, zur Rettung der Jungfrau Marvie vor dem bösen Mann mit den schlimmen Absichten. Der böse Mann merkte nun, dass sich alles gegen ihn wendete. Und dass seine Freundin ihm nicht zur Seite stehen würde. Sondern lieber im Kreise ihrer verkommenen Schwestern und der merkwürdigen Nachbarn zugrunde gehen wollte.
    Also stieß der böse Mann noch ein paar Flüche aus und stapfte dann schwankend weg, ins Dunkle hinein, der Kies knirschte arhythmisch unter seinen Sohlen, dann hörte man einen kreischend aufheulenden Motor. »Das darf doch nicht wahr sein, dass diese Schnapsdrossel jetzt noch fährt!«, ereiferte sich Cromwell und setzte verantwortungsbewusst hinzu: »Wir sollten ihm die Bullen auf den Hals schicken!« Derweil nutzte ich schamlos die Hilfsbedürftigkeit meiner Angebeteten aus und legte der weinenden Marvie eine Hand auf die Hand. Sie schnorchelte einmal erschöpft auf, dann lächelte sie mich dankbar an. Oh, wie schön ist das Trösten von frischen Witwen. Dann sagte
ich blitzgescheit den originellen Satz: »So einen Knaller habe ich ja noch nicht mal in der Klapse erlebt. Hat er das öfter?« Mendelssohn sagte trocken: »Und jetzt stimmen wir alle den schönen Choral an ›Geh aus mein Herz und suche Streit‹.«
    Inzwischen streichelte Katharina der noch immer bebenden Marvie den Rücken, ich streichelte verschärft Marvies Hände, Cromwell grinste dazu unanständig, und Laura und Mendelssohn zogen über die Wurst her.
    »Bist du jetzt endlich bedient von diesem Monstrum?«, fragte Katharina eindringlich ihre kleine Schwester. Marvie schnaufte noch einmal auf, überlegte eine Weile und sagte dann tatsächlich: »Ihr kennt ihn einfach nicht so, wie ich ihn kenne. Er ist kein Monstrum.«
    Katharina und Laura stöhnten laut auf, ich stöhnte innerlich mit. Resignierend sagte Cromwell nur: »Jaja.« Mendelssohn wiegte sein Haupt. Katharina wurde laut: »Ach so! Wie ist er denn sonst so? Ruhig und besonnen?« Mendelssohn murmelte: »Und seine Profilneurose zieht er auch nur an, wenn er ausgeht?« Marvie entwand sich unserem beruhigend-tröstenden Zugriff und wischte sich mit den Handrücken die Tränen aus dem Gesicht: »Ihr wisst nicht, wie er sein kann.« Laura lachte künstlich: »Doch. Eben gerade haben wir erlebt, wie er sein kann.«
    »Das ist nicht seine übliche Form!«, sagte Marvie trotzig. »Außerdem habt ihr ihn gereizt!« Dabei streifte sie auch mich mit ihrem umherwandernden, unsicheren Blick.
    DAS konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, sagte aber in sehr therapeutischem Ton: »Wenn er sich von einem
harmlosen Geschwätz wie meinem hat reizen lassen: Wie reagiert er dann erst auf eine echte Beleidigung? Mit sofortigem Totschlag? Oder alle erschießen? Oder wie?«
    »Eben!«, sagte Katharina.
    Marvie verzog das Gesicht. In ihrem Ausdruck fand so etwas wie eine Überblendung statt, von traurig über trotzig.
    Verdammt! Ich hatte mich zu weit und zu wurstfeindlich aus dem Fenster gehängt! Warum hatte ich mich nicht ein wenig schmieriger aus dem Fenster hängen können? Die Wurst nicht wirklich kritisieren, sondern einen Hauch Verständnis heucheln, um dann im rechten Augenblick – also während Marvies scheibchenweiser Loslösung von dem Fettsack – wie von ungefähr auf ihre aktuelle Meinung zuzuschwimmen, diese zu bestätigen und erst mal als echter Freund und guter Berater dazustehen. Wovon es nur noch ein kleiner Schritt wäre zur logischen Alternative … Kurz: Opportunismus wäre das Mittel der Wahl gewesen, eine Gesinnung wie eine Gleitsichtbrille, ein Verhalten wie ein Marshmallow.
    Zu spät. Marvie stand auf, sagte rau: »Entschuldigt mich«, und verschwand im Haus.
    Katharina seufzte: »Diese dumme, dumme Liebe.«
    »Das ist keine Liebe«, sagte Cromwell, »das ist das Stockholm-Syndrom.«
    »Und damit kennt er sich aus«,

Weitere Kostenlose Bücher